Szene aus Benny Nemerofsky Ramsays Kurzvideos Foto: Festival

Das Warm-Up des 32. Stuttgarter Filmwinters hat mit einer Videoinstallation von Benny Nemerofsky Ramsay begonnen. Thema ist der sinnliche Prozess des Schreibens.

Stuttgart - Ein Roman schreibt sich nicht einfach so in einem Fluss. Es ist ein Prozess. Unterschiedliche Versionen wetteifern miteinander. Gedankenströme fließen, stocken und wachsen schließlich zu einem Textkörper. Der Künstler Benny Nemerofsky Ramsay beschäftigt sich in seiner aktuellen Video-Installation mit dem Akt des Schreibens. Drei Monate lang sind seine 16 Kurzvideos im Eingangsbereich der Stuttgarter Stadtbibliothek zu sehen. „Prolog und Variationen“ ist das Warm-Up für den 32. Stuttgarter Filmwinter. „Hier kommen 3000 Leute am Tag vorbei. Und zwar unterschiedlichen Alters und gesellschaftlicher Schichten“, sagt Giovanna Thiery von der Festivalleitung. Nemerofsky Ramsay ist übrigens in Stuttgart ein alter Bekannter. Seit 15 Jahren ist er regelmäßig Gast beim Filmwinter.

„Das Schreiben ist das Ereignis. Es ist das, was hinter einem Roman steht“, sagt der gebürtige Kanadier. Die Hände zeigen eine eigene Choreografie. Sie streichen Wörter durch und machen Korrekturen und Ergänzungen. Es fühlt sich so an, als könnte man dem Künstler beim Nachdenken zuschauen. Für Nemerofsky Ramsay hat die Ausstellung weder ein eindeutiges Ende noch einen klaren Anfang. „Es ist eine polyfone Komposition in einem langsamen Rhythmus“, sagt er.

Der Klang, der über die Kopfhörer bei den Installationen kommt, ist leise. Vorwiegend hört man nur das Kratzen des Füllers auf Papier und das vorsichtige Umblättern von Buchseiten. Die Stimme des Autors, der Passagen des Textes vorliest, tritt hin und wieder durch die Stille. Ein Laptop taucht nur in einem der kurzen Videos auf. „Mit einem Füller auf Papier zu schreiben, ist sinnlicher und haptischer. Wenn die nasse Tinte fließt und dann trocknet. Es ist eine verlorene, schützenswerte, uralte Kunst. Man kann es anders sehen und stärker wahrnehmen, als wenn man auf dem Laptop schreibt.“ Nemerofsky Ramsay führt übrigens auch Tagebuch.

Gefühle als Ausgangspunkt

„Das Schönste an der Kunst ist, dass man auf emotionaler Ebene berühren kann. Der Ausgangspunkt meiner Arbeit sind Gefühle“, sagt Nemerofsky Ramsay, der sich in einem seiner früheren Werke etwa als Ein-Mann-Boygroup seinen Herzschmerz von der Seele gesungen hat. Vom Künstler sieht man in der aktuellen Videoausstellung nur die Hände. „Dieser Abstand ist mir bequem“, sagt er. Das Projekt sei sehr intim. „Ich hoffe, dass die Leute sich die Zeit nehmen, die Geschichte zu entdecken.“

Ohne Inspiration kein Roman. Anregungen findet der Doktorant des Edinburgh College of Art unter anderem in der Natur. „Hier kann man Sinnlichkeit begegnen“, sagt Nemerofsky Ramsay. Einen Farn hat er in einem Video vor sich auf seinem Schreibtisch liegen. Er fasst ihn an und nimmt ihn wahr. So kann er dessen Wesen in Worte kleiden. Zudem blättert er in seiner Sammlung antiker Botanikbücher. Aber auch Autoren wie etwa Jean Genet oder zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Sarah Schulman studiert der gebürtige Kanadier in seinem Schaffensprozess. Zudem sucht er auch den zwischenmenschlichen Kontakt, um mit seinem Text voranzukommen und um an seinem Ausdruck zu feilen. „Das Schreiben ist eine einsame Arbeit, bei der man in sich gekehrt ist. Der Dialog und die Gemeinschaft mit anderen sind wichtig.“

Das Papier als Grundelement spielt auch außerhalb des Videoscreens eine Rolle. Die Übersetzung des Prologs kann der Betrachter auf einem Ausdruck mitlesen, der in der Stadtbibliothek ausliegt. So wandert der Text quasi von den Händen des Künstlers in die Hände des Zuschauers. Vielleicht ist der Prolog auch der Anfang von etwas ganz Neuem – nämlich die erste Seite von Nemerofsky Ramsays erstem Roman.

Von 17. bis 20. Januar findet der 32. Filmwinter statt. Das Thema lautet: „Wake me up“ . Die besten Einsendungen aus den Wettbewerbskategorien für Medien im Raum und Network Culture sind im Kunstbezirk zu sehen. Die Kurzfilme und die Two-Minute-Shorts werden auf der Leinwand in den Räumen des FITZ! Zentrum für Figurentheater und dem Theater tri-bühne gezeigt.