Klettern wird immer beliebter. Foto: Kienzler

Faszination Sport: Schwindelfrei - Weshalb Klettern immer beliebter wird. Sport für sich entdecken. Mit Video

Da hänge ich nun am Romäusturm. "Du musst versuchen, mit deinem linken Bein auf den Tritt rechts zu kommen und dann mit der linken Hand den Griff weiter oben nehmen", höre ich von unten.

So viel zur Theorie. Im gleichen  Moment merke ich, wie die Kraft in den Armen nachlässt. Jetzt oder nie. Mit einer letzten Anstrengung will ich den Ratschlag umsetzen. "Nee, Mist", sage ich noch, bevor meine Hände abrutschen, ich den Halt verliere und in die Tiefe falle. Zum Glück nur etwa 1,5 Meter. Ich lande weich auf dem Hallenboden, beschließe aber, meine erste Boulder-Einheit zu unterbrechen – und überlasse anderen die bunten Wände hier, die ganz villingerisch Kaiserring, Stadtmauer, Münster oder eben Romäusturm heißen.

Zum Beispiel Simon Hornig. Er hat den Boulder-Sport vor einigen Monaten für sich entdeckt und betreibt diesen  mit großer Begeisterung. Das Wort stammt vom englischen Begriff "Boulder" und bedeutet Felsblock. Im Grunde ist es Klettern ohne Seil an Felsblöcken in Höhen bis zu fünf Metern, von denen man noch abspringen kann. Die Alternative zu den Felsblöcken im Freien sind mittlerweile Boulderhallen  wie das "Upjoy" in Villingen, in denen die Sportler wetterunabhängig trainieren.

An diesem Sonntagmorgen tummeln sich Profis und Anfänger gleichermaßen.  Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder sind zu sehen. Einige sitzen auf dem Boden, machen eine Pause. Andere stehen in kleinen Gruppen vor den Wänden und diskutieren, wie die Routen am besten zu meistern sind. Die Wände in der Boulderhalle sind übersät mit bunten Klötzen in verschiedenen  Größen, Formen und Farben:  Gelb, grün, blau, rot, schwarz und weiß. Das ist gleichzeitig die Reihenfolge der Schwierigkeitsgrade –  vom sehr einfachen gelb  bis hin zum extrem schwierigen weiß.

Simon ist mittlerweile bei blau und rot angelangt. Bevor er startet, greift der 29-Jährige in einen kleinen Beutel und verreibt das "Chalk", ein weißes Magnesiumcarbonat-Pulver, gleichmäßig in seinen Händen. "Das ist schon wichtig und sorgt für den richtigen Grip", sagt er, bevor  sein Blick  zur nächsten Route wandert. In Gedanken geht er die Griff- und Trittfolge der roten Tour durch. "Theoretisch weiß ich, wie es gehen müsste."  Er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schon hängt der Villinger in der Startposition. Beide Hände und Beine sind fixiert.

Viele Regeln gibt es nicht beim Bouldern, aber die vorhandenen sollten schon eingehalten werden. Darauf achten die Boulderer. So sind die Positionen der Hände und Beine für Start und Ziel mit kleinen Hinweisschildern vorgegeben, der Weg jedoch nicht. Zügig und sicher absolviert Simon die ersten Griffe und Tritte, spezielle Kletterschuhe helfen ihm dabei. Jetzt geht es in waagrechter Position weiter. Er hängt unter einem Bogen und verharrt kurz. Nach wenigen Sekunden und einer selbstkritischen Unmutsäußerung hangelt sich Simon weiter nach oben. Er hat den Rhythmus wieder, aber es scheint anstrengender zu werden. Mit einem kurzen aber triumphierenden "Yes" legt er beide Hände an den obersten Griff mit dem Schildchen "Top".

Nach der Landung pumpt Simon kräftig. "Das ging jetzt aber echt an die Kondition", kommentiert er.

Aber was ist das Faszinierende am Bouldern? "Der Sport ist sehr abwechslungsreich, außerdem kann man ihn alleine ausüben. Es macht einfach mehr Spaß als Krafttraining,",  erzählt Simon, der auch  mal Fußball spielt, joggt und tanzt. Hinzu komme der sportliche Effekt: Bouldern sei gut für die Ausdauer und Geschicklichkeit, außerdem gelte es als perfektes Ganzkörpertraining. "Der Sport fördert das Selbstvertrauen und hilft, Ängste zu überwinden", ist sich Simon sicher.

DIE HISTORIE

Bereits um das Jahr 1890 bestiegen in Frankreich bei Fontainebleau – rund 50 Kilometer südlich von Paris – die "Bleausards" die dortigen Sandsteinfelsen.

Der Boulder-Sport wurde dann durch John Gill (USA) und Wolfgang Fietz (Deutschland) maßgeblich geprägt. Gill entwickelte bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren neue Klettertechniken. Er setzte dabei Elemente aus dem Geräteturnen ein. Gill praktizierte einen dynamischen Bewegungsstil. Hierdurch konnte er den Schwung der letzten Bewegung für den nächsten Zug nutzen, so dass eine fließende Gesamtbewegung entstand.

Bei den Kletter-Weltmeisterschaften 2001 in Winterthur war die Disziplin erstmals bei einer WM präsent. In Deutschland gibt es eine 1. Boulder-Bundesliga. Die deutschen Meisterschaften werden im Juni auf der Messe "Outdoor" in Friedrichshafen ausgetragen. Auf internationalem Parkett messen sich die weltbesten Boulderer unter dem Dach der "International Federation of Sport Climbing (IFSC)". Bekannte Boulder-Gebiete sind Ausserferrera (Magic Wood) im Kanton Graubünden (Schweiz), Castle Hill in der Region Canterbury, auf der Südinsel Neuseelands, das Frankenjura oder Kochel in Bayern.

DIE AUSRÜSTUNG

Mit der richtigen Ausrüstung macht es noch mehr Freude! Zum perfekten Boulder-Spaß gehört auch das passende Equipment. Viel ist nicht notwendig, für den Anfang kann man sich auch die Sachen in den Kletterhallen leihen. Zur Grundausstattung gehören aber Kletterschuhe, Chalk, Chalkbag und eine Bouldermatte. Letzteres speziell fürs Bouldern im Freien.

Egal, ob man in der Halle oder Outdoor klettert, die schwitzenden Finger wollen Magnesiumkarbonat, weitläufig auch als Chalk bekannt. Gerade bei knackigen Routen oder in einer beheizten Halle sorgen feuchte Hände immer wieder für Frust, wenn man an den Klettergriffen oder am Fels den Halt verliert und abrutscht. Chalk nimmt den Schweiß auf, bindet ihn und sorgt so für mehr Sicherheit.

Manche Hallenbetreiber sind mittlerweile vom Staub so genervt, dass sie den Einsatz des pulvrigen Chalks verbieten. Dieses besteht zu einem großen Teil aus ungiftigem Magnesiumcarbonat, welches auch in Mineralwässern vorkommt. Zu kaufen gibt es Chalk locker als feinmehliges und staubiges Pulver, als Chalkball im strumpfhosenartigen kleinen Säckchen, hart zum großen Chalkblock gepresst – oder in flüssiger Form (Alkohol-Suspension) in einem Fläschchen.

DER SPOTTER

Ein weicher Boden sorgt in der Halle für die Sicherheit der Sportler. Vor allem beim Bouldern im Freien greifen Kletterkollegen am Boden, die "Spotter", in kniffligen Situationen ein. Ziel des Spottens ist es, ein unkontrolliertes Abstürzen oder Aufprallen am Boden zu vermeiden. Während des Boulderns selbst greift der Spotter natürlich nicht ein, denn dies würde die Bewegungsabläufe behindern.

Bei einem "Abflug" versucht der Spotter nicht, den Kollegen aufzufangen, sondern seinen Oberkörper mit seinen Händen in eine aufrechte Position zu drücken, damit der Boulderer möglichst auf den Beinen landet und sich nicht an Kopf oder Rücken verletzt. Nebenbei sorgt der Spotter auch dafür, dass sich niemand unterhalb des Boulderers aufhält. Der Spotter soll auch darauf achten, den Kollegen beim Stürzen gezielt auf das Crashpad, einer dick gepolsterten Matte, zu lotsen.