Foto: Plaz

Essen im Restaurant verspätet sich. Bäckermeister Tobias Plaz und Familie bei Terrorakt noch nicht auf Flaniermeile.    

 

Eutingen/Barcelona - Schreie, Massenpanik und diese schreckliche Ungewissheit: Diesen Tag vergisst die Familie Plaz aus Eutingen nie. Sie ist  in ihrem Urlaub nur wenige Meter vom Ort des Terroranschlags in Barcelona auf der Prachtstraße Las Ramblas entfernt gewesen. Dort ist  ein Kleinlaster in eine Menschenmenge gerast und hat mindestens 14 Menschen in den Tod gerissen.

Der Tag danach: Familienvater Tobias Plaz (40) ist hörbar mitgenommen, als er seine Sicht der Dinge am Telefon schildert. In Sicherheit. "Wir waren in einer Seitenstraße von Las Ramblas, als uns plötzlich Menschenmassen in Panik schreiend entgegenkamen. Ein Mädchen hat geweint, Sirenen haben geheult, die Polizei kam sofort angefahren", erzählt er.  Zudem habe er mehrfach einen lauten Knall gehört. "Schüsse", dachte er nur.

Die Familie flüchtet in den Innenhof eines  Restaurants, wo sich die Menschen drängen, erzählt Plaz. Die Polizei riegelt das Gelände außerhalb ab, Hubschrauber kreisen bedrohlich tief über den Dächern. Dann die Nachricht einer Kellnerin: "Die Täter sind offenbar geflüchtet." Die Ungewissheit und die bangen Minuten hinterlassen Spuren. Insbesondere die beiden Töchter Anielle (15) und Sonique (12) sind völlig aufgelöst. Doch in der Not steht man zusammen: "Die spanische Kellnerin hat sich toll um die Mädels gekümmert", lobt der Familienvater.

Er ruft  seinem Schwager in der Heimat an, ob er wisse, was denn eigentlich in Barcelona los sei. Erst da erfährt er, dass die Familie nur knapp einem Terroranschlag entgangen ist. Immer wieder wird in dieser Zeit von den Gästen das Holztor am Restaurant geöffnet, um zu schauen, ob man in Sicherheit ist.

Die Polizei geht  anschließend zu jedem einzelnen Geschäft oder Restaurant, um die Menschen herauszuholen und zu sagen, dass sie wieder gehen könnten. Drei Stunden voller Ungewissheit und Angst, voller Hoffen und Bangen sind  vorbei. "Überall kamen Menschentrauben aus den Gebäuden heraus auf die Straße", sagt Plaz. Er ist selbst Kommandant der Eutinger Feuerwehr, weshalb ihm Gefahrensituationen nicht fremd sind. Etwas Vergleichbares hat der Bäckermeister und CDU-Gemeinderat von Eutingen aber natürlich noch nie mitgemacht.

Doch auch danach liegt  in der katalanischen Metropole  eine große Anspannung in der Luft. Schließlich hat es die Sorge gegeben, dass die Attentate noch nicht vorbei seien – so wie bei den Serienanschlägen von Paris im November 2015. Die Familie Plaz hat aber Glück und die Lage bleibt danach halbwegs ruhig.

Auch zuvor ist  sie schon mit Fortuna im Bunde gewesen. Die vier sind vor dem Anschlag beim Essen in einer Sandwich-Bude. Dort dauert es sehr lange, bis das gewünschte Essen fertig ist. Wäre es schon früher gekommen, wäre die Familie möglicherweise schon auf den Ramblas gewesen – zum Zeitpunkt des Anschlags.

Dem Ort des Grauens entkommen sie nur im Schritttempo

Die Familie Plaz verbringt eigentlich ihren Urlaub auf einem Campingplatz in Sant Pere Pescador, das 140 Kilometer nördlich von Barcelona liegt. Doch eben an diesem verhängnisvollen Tag machen sie einen Ausflug mit dem Bus in die katalanische Metropole. Morgens wird die weltberühmte Kirche Sagrada Familia besichtigt, nachmittags stehen Las Ramblas und der Hafen auf dem Programm – eigentlich.

Die Rückfahrt aus der Metropole gestaltet sich beschwerlich. Es gibt  Straßensperrungen  und Polizeikontrollen an jeder Ecke. Und so entkommt  die Familie dem Ort des Grauens nur im Schrittempo. "Drei Stunden brauchten wir, bis wir aus Barcelona heraus waren und uns viele Steine vom Herz fielen", sagt Plaz. Erst um 4.30 Uhr kommt  die Familie wieder an ihrem Campingplatz an.

Welche Lehren zieht er nun aus diesem Horrortag? "So etwas kann überall passieren, man ist nirgends davor gefeit", sagt Plaz, der sich mit seiner Frau Alexandra und den Töchtern auf Entspannung vom stressigen Alltag in der eigenen Bäckerei gefreut hatte.

Tausende Menschen versammeln sich indes am Freitag in Barcelona zu einer Schweigedemonstration. Dass die Stadt Schauplatz des Terrors wurde, wundert Experten nicht. Doch dass hinter den Anschlägen eine große Zelle steckt, beunruhigt.

Vor dem verheerden Anschlag in Barclona kündigte sich der Terror mit einer kleinen Meldung an: In Alcanar, einer 10.000-Einwohner-Gemeinde am Mittelmeer in der Provinz Tarragona, hat  sich am Mittwochabend eine Gasexplosion ereignet. Ein Wohnhaus stürzt ein, einer der Bewohner stirbt, der andere wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Eine lokale Tragödie, so scheint es.

Doch wenige Stunden später rast am Donnerstag, 200 Kilometer weiter nordöstlich in Barcelona, ein Lieferwagen über die Ramblas, den belebtesten Boulevard der Stadt. Mindestens 13 Menschen werden getötet, weitere Hundert verletzt . Der Chef der katalanischen Polizei, Josep Lluís Trapero, sagt,  dass es "klar und mit wenig Zweifeln" einen Zusammenhang gebe. Eine beunruhigende Spur. Alles deutet auf eine aufwendigere Planung hin. Es hat sich wohl  nicht um einen  Einzeltäter gehandelt.

Dann am frühen Freitagmorgen: der nächste Anschlag, diesmal in Cambrils, einem Badeort auf halbem Wege zwischen Alcanar und Barcelona. Wieder ist es ein Auto, das nahe der Strandpromenade auf Fußgänger zusteuert, bis es von der Polizei gestoppt wird und umstürzt. Fünf Männer springen heraus, offenbar mit Messern und Macheten bewaffnet. Außerdem tragen sie Sprengstoffgürtel, die sich später als Attrappen herausstellen. Ein Polizist erschießt vier der Männer. Der fünfte Mann kann fliehen, nach 500 Metern wird  auch er zur Strecke gebracht. Es ist laut Polizei nicht auszuschließen, dass unter den Getöteten auch der Fahrer des Kleintransporters war, der in Barcelona mutmaßlich Dutzende Menschen umgefahren hat. Gewiss ist das jedoch noch nicht.

Sicherheitsbehörden vermuten eine größere Terrorzelle

Die katalanische Polizei hält sich mit weiteren Einzelheiten zwar zurück. Doch es sieht danach aus, dass die beiden Männer in Alcanar mit Butan- und Propangasflaschen hantiert haben, die wahrscheinlich als Bomben eingesetzt werden sollten. Die Terroristen haben ihre Attentatspläne nach der ungeplanten Explosion möglicherweise vorgezogen und sind mit ihren Autos losgefahren, ohne sie mit den Gasflaschen zu bestücken. "Die Explosion von Alcanar hat Attentate größeren Ausmaßes verhindert", sagt Polizeichef Trapero.

Im Auto des mutmaßlichen Attentäters von Barcelona findet  die Polizei den Pass eines Marokkaners mit Wohnsitz in Ripoll, 100 Kilometer nördlich von Barcelona. Er wird festgenommen. Doch der Fahrer des Lieferwagens ist nach Überzeugung der Polizei nicht er, sondern möglicherweise sein Bruder (17).

Insgesamt fünf tote Terroristen, vier Festgenommene und eventuell ein Flüchtiger – "das sind mehr als drei Leute, die sich um einen Bildschirm versammeln und sich selber radikalisieren", sagt der Terrorexperte Chema Gil. Nach jetzigem Kenntnisstand spreche vieles für eine Operation, die "nicht notwendigerweise in unserem Land vorbereitet wurde". Die kommenden Tage werden das  zeigen.