Die acht Gleise des Durchgangsbahnhofs von Stuttgart 21 liegen quer zum Bonatz-Bau. Foto: Kraufmann

Zunächst geht es um das Gesamtkonzept Stuttgart 21 und die Planung der Bahn: Ein Überblick.

Stuttgart - In der ersten Schlichtungsrunde geht es um das Gesamtkonzept und die bisherige Planung der Bahn – Kritiker listen eine lange Reihe von Schwachpunkten auf – Der Überblick zeigt neuralgische
Punkte des Milliardenprojekts.

Leistungsfähigkeit Tiefbahnhof

Größter Streitpunkt bei der Leistungsfähigkeit von Stuttgart21 ist der Tiefbahnhof. Kritiker warnen, dass sich mit dem geplanten achtgleisigen Durchgangsbahnhof weniger Züge pro Stunde abfertigen lassen als im heutigen 16-gleisigen Kopfbahnhof.

Weil der neue unterirdische Tiefbahnhof eisenbahntechnisch weniger gut sein soll als der Kopfbahnhof von 1928 halten ihn Kritiker auch für viel zu teuer. Das Gesamtprojekt Stuttgart21 wird zurzeit auf 4,088 Milliarden Euro veranschlagt; davon entfallen 893072509,28 Euro auf den Bau und die komplette Fertigstellung des Planungsabschnitts Tiefbahnhofs. Die Rohbauarbeiten des Bahnhofs schlagen dabei mit rund 200 Millionen Euro zu Buche.

856 An- und Abfahrtenpro Tag

Die Bahn argumentiert, dass der künftige Durchgangsbahnhof deutlich leistungsfähiger wird als der heutige Bahnhof. Nach der geplanten Fertigstellung 2019 soll Stuttgart21 noch 100 Jahre lang im Betrieb sein. Die Dimensionen des Tiefbahnhofs sind in ihren Grundzügen bereits 1994 in einer Studie von Prof. Gerhard Heimerl, Verkehrswissenschaftliches Institut der Uni Stuttgart, ermittelt worden. Heimerls Ergebnisse wurden in der Folge mehrmals mit neueren Prognosen und für den Schienen-, Luft- und Autoverkehr sowie zur Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung aktualisiert. Das Betriebsszenario, mit dem 2005 der Planfeststellungsbeschluss (Baugenehmigung) für den Tiefbahnhof erstellt worden ist, stammt aus dem Jahr 2003.

Nach dem Szenario der Bahn sind im Tiefbahnhof pro Tag bis zu 856 An- und Abfahrten von Zügen vorgesehen. Maximal möglich wären bis zu 1000. Der alte Hauptbahnhof leistet rund 600 An- und Abfahrten. Hinzu kommen in beiden Fällen Fahrten zum Abstellbahnhof. Die Gesamtkapazität des Tiefbahnhofs wird vor allem durch die schwächere Kapazität des Zulaufs von Norden her (Tunnel Feuerbach) beschränkt.

Eine spätere Erweiterung des Tiefbahnhofs auf zehn Gleise ist wegen des immensen technischen und finanziellen Aufwands unrealistisch. Die Variante steht auch nicht im Planfeststellungsbeschluss. Trotzdem behauptet die Bahn bis heute, dass die Erweiterung prinzipiell möglich wäre.

Engpass Tunnel

Engpass Tunnel

Der Tiefbahnhof wird über den 9,5 Kilometer langen Fildertunnel in Richtung Süden an den Flughafen und die ICE-Neubaustrecke nach Ulm angeschlossen; nach Norden verbindet ein drei Kilometer langer Tunnel den Bahnhof mit der bestehenden Strecke ab Feuerbach. Beide Tunnel bestehen aus zwei getrennten Röhren. Sie sind alle 500 Meter so miteinander verbunden, dass sich Zugpassagiere notfalls in die andere Tunnelröhre als Schutzraum retten könnten.

Kritiker monieren, dass die langen Tunnel in teils schwieriger Geologie nicht nur im Bau sehr teuer sind, sondern auch im späteren Betrieb Engpässe darstellen. Eine einzige Störung im Tunnel könnte den kompletten Bahnknoten Stuttgart weithin lahmlegen. Zudem entfällt bei Stuttgart21 die Gäubahntrasse, die bisher den Hauptbahnhof mit dem Bahnhof Vaihingen als oberirdische Ausweichstrecke verbindet.

Die Bahn betont die hohe Betriebssicherheit in Tunnelstrecken. Außerdem hat auch der alte Hauptbahnhof mit der viergleisigen Neckarbrücke (für S-Bahn, Nah- und Fernzüge) in Bad Cannstatt einen "Flaschenhals". In den Stuttgart-21-Tunneln fahren regulär nur Nah- und Fernverkehrszüge.

Teure ICE-Trase Wendlingen Ulm

Teure ICE-Trase Wendlingen Ulm

Auf den Fildern schließt Stuttgart21 nahtlos an die geplante 60 Kilometer lange ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse Wendlingen-Ulm an. Die Bahn gibt die Baukosten der Trasse mit 2,89 Milliarden Euro an; Kritiker warnen vor "wahrscheinlichen Baukosten" von 5,3 Milliarden Euro. Das Land zahlt einen festen Zuschuss von 950 Millionen Euro; alle übrigen Kosten trägt der Bund. Allerdings kassiert Berlin sämtliche EU-Zuschüsse, was bei der Strecke dreistellige Millionenbeträge ausmacht. Bei Stuttgart21 erhält nur das Teilstück Fildertunnel einen Investitionszuschuss aus Brüssel.

Stuttgart21 und ICE-Strecke werden als Einheit geplant und finanziert. Falls Stuttgart21 scheitert, könnte das Land den Zuschuss zur Strecke zurückziehen; außerdem würde die ICE-Anbindung des Flughafens entfallen. Damit wäre die ICE-Trasse vermutlich unwirtschaftlich

Doppelter Bahnhof im Flughafen

Doppelter Bahnhof im Flughafen

Die direkte Anbindung des Flughafens an den Nah- und Fernverkehr der Bahn gilt als größter Pluspunkt von Stuttgart21 aus verkehrlicher Sicht. Deshalb beteiligt sich der Flughafen mit insgesamt 339,2 Millionen Euro an Stuttgart21.

An der bereits vorhandenen S-Bahn-Station Flughafen halten künftig neben den S-Bahnen auch Fernzüge der Verbindung Stuttgart-Singen. Dabei nutzen die Züge zwischen Leinfelden und Flughafen S-Bahn-Gleise, wozu eine Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministers erforderlich ist. Fernzüge, die den Flughafen auf der Verbindung Stuttgart-Ulm ansteuern, nutzen den Neubau Flughafenbahnhof. Die beiden Stationen sind nicht direkt miteinander verbunden; Umsteigen bedeutet lange, beschwerliche Fußwege.

Weil die Ausnahmegenehmigung erst nach dem Baustart von Stuttgart 21 im Frühjahr 2010 erteilt wurde, liegen für den Planungsbereich Flughafen noch keine rechtskräftigen Pläne vor. Dass trotzdem im Talkessel mit dem Bau begonnen wurde, wird vor allem im Filderraum heftig kritisiert.

Auch die Landesregierung war mit den Planungen beim Flughafen nicht einverstanden: Ein Gutachten im Auftrag der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft von 2008 hatte in der eingleisigen Einbindung des Flughafenbahnhofs in die ICE-Strecke Richtung Stuttgart einen Schwachpunkt identifiziert. In Verhandlungen mit der Bahn hat das Land erreicht, dass hier ein zweites Gleis eingeplant und gebaut wird. Mehrkosten für die Bahn: rund 35 Millionen Euro.

Mit dem sogenannten SMA-Gutachten von 2008 wollte das Land sicherstellen, dass die Bahn trotz des hohen Kosten-und Spardrucks bei Stuttgart21 nicht zu viele Abstriche macht. Die Gutachter hatten daraufhin mehrere Schwachstellen entdeckt. Kritiker fordern die Veröffentlichung des bis heute geheim gehaltenen Gutachtens. Sofern das Land dieser Forderung in der Schlichtung nachkommt, könnte das die Bewertung von Stuttgart21 erheblich erleichtern.

Ringschluss unter der Innenstadt

Ringschluss unter der Innenstadt

Für Stuttgart21 wird ein Tunnelring unter der Innenstadt gebaut, der das Projekt in die bestehende Bahninfrastruktur einbindet. Auch das heißt: Risiken beim Bau, bei der Finanzierung, im Betrieb.

Der alte Wartungsbahnhof am Rosensteinpark wird aufgegeben und macht einem Wohngebiet Platz. Ein neuer Abstellbahnhof wird auf den Flächen des Güterbahnhofs in Untertürkheim errichtet.

Kritiker monieren, dass es bei Stuttgart21 kaum möglich ist, Züge im Tiefbahnhof bereitzustellen oder warten zulassen, weil das den Durchgangsbahnhof versperrt. Das betrifft vor allem Regionalzüge. Stattdessen müssen die Züge im Abstellbahnhof oder in Bahnhöfen weiter außerhalb geparkt und von dort aus herangeführt werden. Das kostet Zeit und Geld.