Politik und Experten tauschten ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung aus. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Zukunft: Bürgermeister, Gemeinde- und Kreisräte drücken Schulbank für Bürgerkommunikation 2.0 / Fuchtel mahnt zu Eile

Von der "Industrie 4.0", in der alles vernetzt und digital verknüpft ist in der Wirtschaft und Arbeitswelt, redet jeder. Aber auch die öffentlichen Verwaltungen holen in Riesenschritten auf – versuchen es zumindest.

Ebhausen-Ebershardt/Nordschwarzwald. Weshalb jetzt über 50 Bürgermeister, Oberbürgermeister, Gemeinderäte, Kreisräte und Vertreter der Landkreise (jeweils aus den Kreisen Freudenstadt und Calw) die "Schulbank" drückten. Und sich im Bürgerraum in Ebhausen-Ebershardt von ausgewiesenen Experten die aktuellen Möglichkeiten, aber auch die künftigen Entwicklungen der "Bürgerkommunikation im digitalen Zeitalter" erklären ließen.

Einer der ersten Referenten: Simon Klass, trotz seiner immer noch jungen 29 Jahre seit zehn Jahren (CDU-)Gemeinderat in Gechingen – und seit dieser Legislaturperiode auch Kreisrat in Calw. Kurz nach seiner ersten erfolgreichen Wahl startete Klass in seiner Heimatgemeinde 2010 die "Facebookgruppe Gechingen", die er seitdem (erfolgreich) betreibt: jedes Jahr kämen kontinuierlich rund 100 neue User dazu. Vor einem Jahr startete er zudem einen "WhatsApp-Broadcast" zu seinen kommunalpolitischen Themen, den er ebenfalls als kontinuierliches Publikations-Medium nutzt.

Erste Erkenntnis: Es braucht einen langen Atem – und manchmal ein "dickes Fell" – um solche Projekte über lange Zeiträume zu betreiben. "Wutbürger" machten auch im kleinst-lokalen Umfeld einem das Leben als Moderator solcher "Socialmedia-Angebote" schwer. "Aber das muss man auch aushalten können." Darf nicht dünnhäutig sein. Und sollte in stets ruhiger, sachlicher Weise antworten. "Ruhe bewahren", rät Klass – im zivilen Leben als studierter Mathematiker und Physiker als IT-Berater tätig – möglichen Nachahmern. Wobei es in seinen Angeboten eher nur mal den "Shitstorm light" gebe "schließlich sind wir immer noch in Gechingen".

Willkommener, wenn auch von CDU-Mann Klass eigentlich nicht gesuchter "Effekt" seiner Medien-Angebote: "Viele User denken, das seien Angebote des Rathauses – oder ich der Bürgermeister." Aber es sei ja nicht seine Schuld, dass andere Gemeinderäte oder die Verwaltung sich nicht auch selbst in dieser Weise engagierten. Lohnen jedenfalls tue sich diese Art der Öffentlichkeitsarbeit, auch wenn man "keine mega-großen User-Zahlen" erreicht. Man sei in einem regionalen und lokalen Umfeld unterwegs, da seien bei 3700 Einwohnern Gechingens knapp 1000 Mitglieder der Facebookgruppe eine beachtenswerte Reichweite.

Das bestätigte zuvor auch der Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz (Böblingen, CDU), ebenfalls ursprünglich leitender Angestellter aus der IT-Branche. Das frischgebackene Mitglied der Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz" des deutschen Bundestages mit Lehrauftrag zu sozialen Medien an der Uni Stuttgart postet "fast alles aus meinen Leben" auf Instagram, Facebook und Twitter. Seine Intention dabei: "Online und Offline-Leben miteinander zu verbinden", um via der neuen Medien-Channels "Bürger zu erreichen, die man im wirklichen Leben nie trifft". Das gelinge, wie Biadacz aus persönlichem Erleben berichten konnte. Außerdem: Man dürfe die soziale Medien nicht allein jenen überlassen, die "vorgaukeln, einfache Antworten auf schwierige Fragestellungen zu haben" – etwa der AfD. Denn die "machen das sehr gut".

Zweiter Teil des von der (CDU-nahen) Konrad-Adenauer-Stiftung auf Initiative von Hans-Joachim Fuchtel organisierten Seminars, das aber ausdrücklich offen war für Kommunalvertreter aller politischen Richtungen: die anstehenden Entwicklungen bei der Umsetzung des "Onlinezugangsgesetzes" (OZG), nach dem bis zum Jahr 2022 alle deutschen Verwaltungen vom Bund bis zur kleinsten Kommune ihre Angebote für den Bürger komplett auch online zur Verfügung stellen müssen.

"Wie isst man einen solchen Elefanten", fragte dazu die eigens aus Berlin angereiste Referentin Karin Scholich, die im (federführenden) Bundesinnenministerium für das "Identitätsmanagement Pass- und Ausweise" zuständig ist. Ihre Antwort: "Indem man ihn in kleine Happen aufteilt." Meint: Die Organisation der "Mammut-Aufgabe Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen" wurde in viele kleine Organisations-Projekte aufgeteilt, die jeweils "Tandem-Teams" aus Vertretern des Bundes und der einzelnen Länder abarbeiten.

Vorbehalte gegen die neuen Abläufe

Wobei alle Entwicklungen der neuen, komplett digitalen Verwaltungsprozesse "immer absolut Nutzer-orientiert" realisiert würden. Weshalb auch Nutzer-Vertreter in den einzelnen Arbeitsgruppen ("Digitalisierungslabore" genannt) – die die über 570 Haupt-Verwaltungsprozesse, die sich an die Bürger richteten, in neue digitale Workflows überführten – entscheidend mit vertreten seien. Was auch Eberhard Wurster, leitender Ministerialdirigent für IT, eGovernment und Verwaltungsmodernisierung der baden-württembergischen Landesregierung bestätigte.

In Baden-Württemberg seien 40 solche Labore eingerichtet worden, die dabei "über 4000 Unterprozesse" in neue digitalisierte Verwaltungsabläufe überführen müssten. Zusammengearbeitet werde dabei mit einigen Dutzend Muster-Kommunen im Ländle, die die neuen volldigitalen Verwaltungsangebote bereits in der sogenannten "Beta-Phase" (Testläufe) übernehmen würden. Was auf Wursters dazu gezeigter BaWü-Karte auffiel: Der Nordschwarzwald ist dabei "ein großer weißer Fleck", nicht eine Kommune beteiligt sich hier bisher an diesen Projekten.

Was "sich ganz schnell ändern" müsse, so Hans-Joachim Fuchtel mit ordentlich Nachdruck in Richtung der anwesenden Kommunalvertreter aus seinem Wahlkreis. "Ich will nicht, dass wir diese Entwicklung wieder genauso verschlafen wie beim Breitbandausbau." Was, wie es Expertin Scholich formulierte, vor allem bedeute: "Dafür müssen sie jetzt investieren" – weniger in Hardware, Programmierung oder späteren Betrieb der nötigen IT-Systeme. Sondern in den notwendigen "Rollout" der neuen Angebote in ihren Landkreisen, Städten und Gemeinden – also dem Bekanntmachen der neuen Abläufe (etwa beim Beantragen von Förderleistungen aller Art) bei den Bürgern. Und ins Fit-Machen der eigenen (kommunalen) Mitarbeiter, bei denen – das wurde aus Rückfragen der Seminarteilnehmer deutlich – auch Vorbehalte gegen die neuen Abläufe in den Verwaltungen bestünden.