Das "Polnische Kinderheim" in Aach (links) auf einer Zeichnung der verstorbenen Künstlerin Eleonore Kötter. Foto: Zeichnung: Eleonore Kötter

Zeitzeuge berichtet über erschütternde Erlebnisse einer Zwangarbeiterin im zweiten Weltkrieg.

Dornstetten - In der Veranstaltungsreihe "Begegnungen am Nachmittag" der evangelischen Kirchengemeinde Dornstetten referierte Helga Hofer aus Grüntal über die Lebensgeschichte ihrer Mutter Martha Hofer.

Stark geprägt durch ihr christliches Elternhaus und den Leitspruch Gustav Werners "Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert", hatte sich Martha Hofer in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs mutig und erfolgreich dafür eingesetzt, dass die im "Polnischen Kinderheim Aach" unter unmenschlichen Bedingungen untergebrachten Säuglinge wieder ihren Müttern zurückgegeben wurden. Vor ungewöhnlich vielen Teilnehmern schilderte Helga Hofer die Beweggründe, die ihre Mutter an einem Februarsonntag 1945 dazu gebracht hatten, sich für die Freilassung der in Aach geschundenen Säuglinge einzusetzen.

Als fachkundiger Heimatforscher, der sich im Raum Calw mit dem Thema Zwangsarbeiterinnen beschäftigt und viele Fakten dazu gesammelt hatte, war auch Norbert Weiss angereist. Er präsentierte den Zuhörern Protokolle der Vernehmungen, die nach Kriegsende über die Verhältnisse im Aacher Kinderheim geführt wurden. Weiss hatte diese Akten quasi als Zufallsfund bei einer anderen Recherche im Sigmaringer Archiv entdeckt.

Wie menschenverachtend damals mit den polnischen Zwangsarbeiterinnen umgegangen wurde, belegten eindrücklich auch Aktenvermerke der Gemeinde Igelsloch, aus denen Weiss gleichfalls zitierte. Demnach war verfügt worden, dass den Müttern, deren Säuglinge man zwangsweise in das Aacher Kinderheim gebracht hatte, von ihrem Gehalt nur noch acht Reichsmark auszuzahlen sei. Der darüber hinausgehende Betrag sei als Kostgeld "monatlich an die Spar- und Darlehenskasse Aach zu überweisen". Allerdings zeigten die Vernehmungsprotokolle, Eintragungen im Aacher Sterberegister zur Todesursache und die Schilderungen von Martha Hofer, dass das Kostgeld wohl nicht in Lebensmittel umgesetzt wurde. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Säuglings im Aacher Kinderheim lag bei 2,9 Monaten – die Kinder verhungerten dort regelrecht.

Weitere, unter die Haut gehende Details zu den Schrecken der damaligen Zeit steuerte völlig unerwartet ein Zeitzeuge aus einer Kreisgemeinde bei. Wie er berichtete, war auf seinem elterlichen Bauernhof – er selbst war damals ein kleiner Junge – eine polnische Zwangsarbeiterin beschäftigt. Maria war eine willkommene Arbeitskraft, war doch der Vater im Krieg, die Mutter mit Landwirtschaft und Kindern überfordert und der noch auf dem Hof lebende Großvater alt und gebrechlich. Maria hatte es gut bei der Familie und kümmerte sich neben der Landwirtschaft auch liebevoll um die Kinder.

Lückenlose Aufarbeitung, mahnende Erinnerung

1944 wurde sie schwanger und brachte ein gesundes Kind zur Welt. Allerdings, so der Zeitzeuge weiter, kam bald der Befehl, das Neugeborene im "Polnischen Kinderheim" abzugeben. Vier Wochen weigerte sich seine Mutter entschieden, Marias Kind herauszugeben. Vor allem, weil im Ort bekannt gewesen sei, "dass es in Aach nicht mit rechten Dingen zugeht. Fünf Kreuze standen ja bereits da."

Im Alter von vier Wochen kam der Säugling nach Aach. In den folgenden Tagen liefen die beiden Frauen oft gemeinsam dort hin und hofften auf eine Gelegenheit, das Kind mitnehmen oder wenigstens stillen zu können – vergeblich. Bald brauchten sie sich nicht mehr auf den Weg machen. Als Todesursache wurde im Sterberegister vermerkt: "Darmkatharr".

Wie die Diskussion im Gemeindehaus Fruchtkasten zeigte, gab es auch Gegenbeispiele. In Aach hatte sich eine Bäuerin mit den Worten "Dieses Kind ist hier im Haus geboren und bleibt hier" erfolgreich geweigert, den auf ihrem Hof von der Zwangsarbeiterin geborenen Säugling herauszugeben.

Nach diesen Ausführungen wurde noch lange rege in kleinen Gruppen über das Geschehen gesprochen. An allen Tischen gab es eine Gemeinsamkeit: Alle waren sich einig, dass sich diese Gräuel niemals wiederholen dürfen und dass es nicht darum geht, nachträglich Schuld zuzuweisen. Viele sprachen sich für eine lückenlose Aufarbeitung und für eine würdige, mahnende Erinnerung aus. Angeregt wurde auch, als Zeichen der Versöhnung an geeigneter Stelle eine Stele mit den Namen der 13 gestorbenen Säuglinge aufzustellen.

Eine Besucherin erinnerte daran, dass auch heute viele polnische Frauen zum Arbeiten nach Deutschland kommen: in der Altenpflege. Eine weitere Teilnehmerin verwies auf die lebendige und vertrauensvolle Partnerschaft mit dem polnischen Landkreis Tomaszów Lubelski und bat darum, im Sinne dieser Partnerschaft diese schreckliche gemeinsame Geschichte endlich öffentlich aufzuarbeiten und danach mit einem würdigen gemeinsamen Gedenken gleichsam einen Schlusspunkt zu setzen.