Etwa dreieinhalb Mal so hoch wie die bestehenden Strommasten würden Windräder auf der hinter dem Wald liegenden Anhöhe im Süden Deißlingens vom Ort aus ins Blickfeld rücken. Foto: Scheidel, Montage: Rörsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Grüner Bundespolitiker Christian Kühn lässt sich im Deißlinger Rathaus die Kritik an der Energiepolitik genau erläutern

Von Winfried Scheidel und Bodo Schnekenburger Deißlingen. Eine Energieerzeugung mittels Windkraft in heimischen Gefilden hat man sich in Deißlingen fast schon abgeschminkt. Mit der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes scheint die Luft erst einmal raus zu sein für ein solches Vorhaben. Auch der Grüne Christian Kühn konnte gestern die Zuversicht nicht erhöhen. Kühn, baupolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen war von Bernd Angst nach Deißlingen gelockt worden. Der SPD-Gemeinderat, der auch die Bürgenergie Deißlingen mit aus der Taufe gehoben hatte, fand mit einem seiner Schreiben, in dem er das Ausbremsen von Vor-Ort-Aktivitäten zur Energiewende durch die hohe Politik bei dem Tübinger Abgeordneten Gehör. Bürgermeister Ralf Ulbrich, der den Deißlinger Standpunkt für die Fortführung einer klimaneutralen dezentralen Energieversorgung vor einigen Monaten in einem Schreiben an Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel betont hatte, wartet bisher vergeblich auf eine Antwort.

Adressaten der im April von mehreren Impulsgebern initiierten Briefaktion waren Wahlkreis- und Betreuungsabgeordnete verschiedener Parteien, Briefe gingen auch an den Bundeswirtschaftsminister. Absender waren Gruppen und Initiativen wie der Bund für Umwelt- und Naturschutz oder die Genossenschaft Bürger-Energie Deißlingen (BED), aber auch die Gemeinde – und dazu eine ganze Reihe Privatpersonen.

Und darum geht es: „Die Reduktion der Einspeisevergütung, die Deckelung und Umlagepflicht des eigenen Stroms sind Nachteile für uns“, fasste Ulbrich in einem Pressegespräch im April zusammen. Eine Winkraftnutzung an der Grenze zur Gemarkung Trossingen ist, dies ist spätestens seit einer Bürgerversammlung im Mai 2012 klar, gewünscht. Zusammen mit Trossingen arbeitet man seit über zwei Jahren an einem Konzept, denn der einzig darstellbare Standort ist eine Fläche, die über die Markungsgrenze reicht. Den Beteiligten ist klar, dass der Standort über dem Wannengrund kein Spitzenstandort sein kann. Doch immerhin sind Windgeschwindigkeiten von um die sechs Kilometer pro Stunde in Nabenhöhe zu erwarten. Zugrund gelegt wird eine Anlage mit einer Nabenhöhe von 140 Metern. Bei zu erwartenden 2500 Voll-Last-Stunden pro Jahr, so rechnet Bernd Angst, einer der Initiatoren, vor, könnte so eine Anlage bereits wesentlich mehr Energie erzeugen als die gesamte Fotovoltaik-Bestückung von Deißlingen zusammen, eingerechnet auch die Großanlage auf dem Schuler-Neubau.

Damit wäre die Windkraftanlage mit einer Abdeckung von etwa zehn Prozent des aktuellen Strombedarfs ein wichtiger Baustein im Energiemix der Zukunft in Deißlingen. Die soll bis 2050 klimaneutral und energieautark sein. Unter Zugrundelegung der bisherigen Rahmenbedingungen hatte man eine Rendite von bis zu sechs Prozent errechnet.

"Wir tun dies aus der Überzeugung heraus, dass die Energiewende nur dann gelingen kann, wenn sie vor Ort gestaltet und umgesetzt wird", hatte Ulbrich im Brief an den Wirtschaftsminister klar gemacht. Besonders ärgert die Briefschreiber, dass die Reform des EEG mit einem "atmenden Deckel" für die Förderung von Neukapazitäten Planungssicherheit ausschließt, und dass teure Offshore-Windparks, die von den führenden Stromriesen vor allem aus Profitgründen installiert und betrieben werden, von der Kürzung nicht betroffen sind. Die Reform macht den kleinen, kommunalen Projekten, die dezentral Energie für den eigenen Bedarf erzeugen – und nebenbei damit, wenn der Mix steht, auch Investition in große Leitungskapazität, Stichwort Stromtrassen, nicht brauchen – einen Strich durch die Rechnung.

Trotz der negativen Vorzeichen werde die Gemeinde wohl planungsrechtlich alle Voraussetzungen zur Realisierung einer Windkraftanlage schaffen, betonte Ulbrich gestern. Sollte sich der Wind in Berlin wieder drehen und nach dem „EEG 2.0“ mit einem „EEG 2.1“ auch die Kleinen, deren Anlage nicht die Referenzertragswerte von 75 bis 80 Prozent erreichen wieder ins Boot holen, sollen die Deißlinger sofort loslegen können. Der nächste Schritt wäre das Windgutachten. Das kostet aber so viel, dass ohne einigermaßen sichere Rahmenbedingungen diese Investition nicht riskiert werden kann.

Christian Kühn ließ sich gestern die Schilderungen von Ulbrich und Angst zum "grünen Deißlinger Weg" hin zu einer klimaneutralen Gemeinde, der von allen Rathaus-Fraktionen – egal welcher Couleur – in gleicher Weise getragen werde, auf der Zunge zergehen. Dass er problembewusst, als Oppositionspolitiker derzeit aber auch ziemlich ohnmächtig durch die Lande reist, weiß Kühn selbst auch.

Im Schulterschluss mit der Landesregierung wolle man aber doch irgendwie weiterkommen, um wertvollen und von viel Bürgerengagement getragenen Vor-Ort-Vorhaben doch wieder mehr Rückenwind zu verleihen, sagt Kühn. Trotz einer in seinen Augen von einer "Klima- zur Braunkohlekanzlerin" mutierten Regierungschefin, so der grüne Abgeordnete trotzig.