Anna Breiter und Benedikt Schlegel lasen treffsicher ausgewählte Buchpassagen. Foto: Wallburg Foto: Schwarzwälder Bote

Literatur: "Demian – Die Geschichte einer Jugend" ist Thema beim "Lesesommer"

Calw. "Demian – Die Geschichte einer Jugend", entstand 1917 und ist zwei Jahre später, also genau vor 100 Jahren, unter dem Autoren-Pseudonym Emil Sinclair erschienen. Im Rahmen des "Gerbersauer Lesesommers" fand im Foyer der Sparkasse Pforzheim Calw eine weitere musikalisch umrahmte Lesung aus Hermann Hesses Erzählungen statt.

Das Pseudonym Emil Sinclair wurde offensichtlich gewählt, "um die Jugend nicht durch den bekannten Namen eines alten Onkels abzuschrecken", wie es Thomas Mann einmal in seinem Vorwort zur damaligen amerikanischen Ausgabe des Buches formulierte. Der Roman mit seiner für die damalige Zeit neuartigen Psychoanalyse hatte auf die junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg eine beinahe elektrisierende Wirkung und traf mit den Nerv der Zeit, ähnlich Goethes Werther, dessen Wirkung Thomas Mann selbst mit der des Demian verglich. Mann schrieb an den gemeinsamen Verleger S. Fischer: "Sagen Sie mir bitte: Wer ist Emil Sinclair? Sein ›Demian‹ hat mir mehr Eindruck gemacht, als irgend etwas Neues seit Langem". Hesse wurde schließlich entlarvt, da er teils ähnliche Schauplätze verwandt hatte wie in seiner Erzählung "Unterm Rad".

In seinen ersten Kapiteln, die rezitiert wurden, ist "Demian" unverkennbar eine Geschichte aus Hesses eigener Heimatstadt, also eine "Gerbersauer Geschichte", bei der er etliche Calwer Schauplätze vor Augen hatte. Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Die Person Emil Sinclair wird darin als eine real existierende Person beschrieben. Zudem wird vorgegeben, dass die zweite Person Demian eine Autobiografie sei, abseits jeglicher poetischer Fiktion.

Der Leser wird aufgefordert, aus der Geschichte von Sinclair zu lernen, wie man seinen Weg und seine Bestimmung im Leben findet und trotz unvermeidbarer Schwierigkeiten erfolgreich umsetzt. Hesse beschreibt über eine fiktive Person seine eigene Kindheit und Jugend im Zwiespalt. Während sich die eine Seite auf die äußeren Geschehnisse beschränkt, bilden sich auf der Anderen die psychische Entwicklung des Autors ab. Im frühesten Kindesalter spürt dieser Sinclair die Existenz zweier Welten in seinem Leben: Die eine ist die warme, lichte, geborgene, saubere und liebe Vater- und Mutterwelt. Ihr gegenüber steht die andere, die verbotene, dunkle, böse, allgemein gegensätzliche Welt. Sinclair erscheint die letztere deswegen auch umso spannender und verlockender.

In Luft aufgelöst

Anna Breiter und Benedikt Schlegel vom Bayrischen Rundfunk lesen aus der Vorrede des Buches "Was ist der Mensch – Emil Sinclair einführende Beschreibung seiner Kindheit" und den weiteren Kapiteln. Der Protagonist lernt dabei die andere, abgründige Welt kennen, gerät in die Fänge des Erpressers Kromer, lernt Max Demian kennen und wird durch ihn letztendlich gerettet. Die bewundernswerte Klangsprache der Sprecher, die treffsicher ausgewählten Buchpassagen und die dabei geschickt wechselseitig eingesetzten Dialoge fesseln die Zuhörer in einer Art und Weise, die beim reinen Lesen der Erzählung gleichermaßen kaum zu erzeugen gewesen wäre. Der ganze Abend wird sehr einfühlsam und melodisch begleitet durch das Gitarren-Duo Birgit Zacharias und Helmut Rauscher. Sie spielen sechs Stücke aus unterschiedlichen Genres, passend zu den jeweiligen Textauszügen.

Mit dem Erfinden einer kleinen Heldengeschichte kommt Sinclair unter die Knechtschaft eines Franz Kromer, der ihm droht, ihn für diese unwahre Räubergeschichte anzuzeigen. Anfangs verlangt er von dem naiven Emil Schweigegeld. Als der es jedoch nicht aufbringen kann, lässt Kromer ihn andere, demütigende Dinge tun. Der junge Sinclair fühlt sich immer mehr in die dunkle Welt hineingezogen, indem er zu Hause Geld stiehlt und sich nicht traut, seinen Eltern die Wahrheit zu beichten. Schließlich lernt er Demian kennen. Dieser weckt das Interesse vieler Mitschüler und macht auch auf Sinclair den Eindruck, sehr intelligent und erwachsen zu sein. Er durchschaut, dass Sinclair unter der Macht Kromers leidet. Als sich Sinclairs Probleme durch Demians Hilfe plötzlich in Luft aufzulösen scheinen, verfällt Sinclair in eine Art Euphorie. Er vermag aber nicht, gegenüber Demian Dankbarkeit zu zeigen. Stattdessen zieht sich Sinclair wieder in die heile Welt des Elternhauses zurück und distanziert sich von Demian. Der spannende und wunderbar inszenierte Abend geht hier leider zu Ende, nicht aber die Geschichte selbst.

Später, im Konfirmationsunterricht trifft Sinclair erneut auf Demian. Die beiden kommen sich wieder näher, und es entwickelt sich eine Freundschaft. Sinclair sieht in Demian zunehmend einen Seelenbruder. Mit 16 Jahren wechselt Sinclair auf ein Internat. Fern von Demian nehmen seine seelischen Probleme wieder zu.

Jahre später auf der Universität trifft Sinclair wieder Demian, dessen Mutter Eva sich gar zu seinem künftigen Leitbild und seiner Geliebten herausbildet. Der Erste Weltkrieg trennt allerdings die Verbindung. Sinclair wird schwer verletzt und träumt davon, von Eva als übermächtige Muttergöttin und Geliebte, die die Menschheit in sich aufnehmen und neu gebären soll, wieder geboren zu werden. Letztendlich hilft ihm das, mit sich ins Reine zu kommen und sich selbst zu finden.