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Rockstar feiert mit Fans und Panikorchester in Hirsau die "Bunte Republik Deutschland". Mit Video

Calw - Krisen, Kriege, Terrorangst – das zieht sich wie ein roter Faden durch das Hermann-Hesse-Festival. Es war gleich zu Beginn spürbar. Udo Lindenberg, dessen Stiftung den Panikpreis verleiht, tritt in Calw auf. Das führt zu verstärkten Sicherheitskontrollen. Hunderte Meter lange Schlangen, Polizei, die Präsenz zeigt.

Auch während der fünfstündigen Veranstaltung kehren diese Themen immer wieder. Preisträgerin Sarah Lesch verarbeitet die Anschläge von Paris in ihrem Lied "Das mit dem Mond". Schauspieler Joachim Król liest aus einem Brief, den Hermann Hesse im Krisenjahr 1929 einem verunsicherten jungen Leser schreibt. Parallelen zu heute sind unverkennbar. Und zu den Gänsehaut-Augenblicken gehört, als Udo Lindenberg mit Kindern "Wozu sind Kriege da?" singt.

Von gedrückter Stimmung dennoch keine Spur. Im Gegenteil. Die "Bunte Republik Deutschland", von Udo auch an diesem Abend lauthals besungen, zeigte Flagge. Und die mehr als 2000 Fans stimmten fröhlich mit ein, hatten zuvor Leibesvisitationen und Taschenkontrollen ohne Murren über sich ergehen lassen.

Seit zehn Jahren gibt es das Hermann-Hesse-Festival. Im Jahr 2006 war es zur Gründung der Lindenberg-Stiftung zusammen mit der Sparkasse Pforzheim-Calw gekommen. Der Panikpreis wird alle zwei Jahre an Bands, Musiker, Texter und Individualisten verliehen, die gegen den Mainstream schwimmen. Zudem fördert die Stiftung Entwicklungsprojekte in Afrika.

In diesem Jahr hatte man sich für einen anderen Modus entschieden. Die Musiker stellen sich nicht mehr vor Publikum der Jury. Zu hören sind nurmehr die drei Preisträger, die zuvor an der Pop-Akademie in Mannheim ermittelt worden waren. Sie erhalten jeweils 2000 Euro und ein Coaching an der Akademie.

"Kraus" landen auf Platz drei. Sie verbinden frische, eingängige Melodien mit nachdenklichen, hörenswerten Texten. Die Zweitplatzierte Sarah Lesch, in Tübingen und Leipzig zu Hause, gehört in das Genre Liedermacherin/Chanson. Sieger "Planetarium" präsentiert eine Mischung aus Elektro-Pop und Rock. Von einem sehr eigenen Stil spricht Udo Lindenberg, der die Gruppe persönlich coachen wird.

Hesse und Rockmusik – ob das zusammenpasst? Nicht nur der Calwer Hesse-Experte Herbert Schnierle-Lutz hatte vor zehn Jahren da so seine Zweifel. Die sind längst ausgeräumt. Mittlerweile hat Schnierle-Lutz mit Duzfreund Udo Reisen an die Hesse-Orte Gaienhofen am Bodensee und Montagnola im Tessin unternommen.

Passend dazu rezitiert Joachim Król aus dem Roman "Gertrud", wonach es nicht immer gleich Beethoven oder Bach sein müssen, um sich von Musik faszinieren zu lassen. Und dass sich ein Hesse-Gedicht für eine Rockballade eignet, zeigt Sonderpreisträgerin Melanie Simunovic aus Österreich mit der Vertonung von "Ich bin ein Stern". Auch wieder so ein Gänsehaut-Augenblick.

70 Jahre alt wurde Udo Lindenberg, der sich gerne als "Nachtigall" bezeichnet, in diesem Jahr. Bei so einem runden Geburtstag bleiben Ehrungen und Preise nicht aus. Von der "Saison der Preiselbeeren" spricht scherzhaft Stiftungssprecher Arno Köster. Erst vor wenigen Tagen wurde Lindenberg Ehrenbürger seiner Heimatstadt Gronau. Und am Samstagabend verlieh ihm Calws Oberbürgermeister Ralf Eggert die Herman-Hesse-Medaille. Diese Auszeichnung wird vom Gemeinderat der Geburtsstadt des Literaturnobelpreisträgers sehr selten vergeben. Die letzte Verleihung datiert aus dem Jahr 2007. "Gronau und Calw wohnen in meinem Herzen", bekennt der Panikrocker. Wer ihn kennt, weiß, dass er das auch so meint.

Am Ende des Abends steht Udo pur. In so einem intimen Rahmen ist das nur noch selten zu erleben, hat die "Nachtigall" doch gerade eine Tournee hinter sich, die Stadien und Riesenhallen füllte. Es ist das letzte Konzert von Udo und seinem Panikorchester in diesem Jahr. Sie zeigen sich in Hochform und geben noch mal so richtig Gas. Mit vielen Songs vom neuen Album "Stärker als die Zeit" und zum Abschluss mit einem Medley altbekannter Titel wie "Sonderzug nach Pankow", "Johnny Controletti" oder "Andrea Doria". Fürwahr: "Der Greis ist heiß", wenn man den 70-Jährigen so auf der Bühne sieht und zugleich eine "Coole Socke", hinter der es anfängt zu schneien.

Erst ein gutes Stück nach Mitternacht verklang der letzte Ton des letzten Songs "El Dorado". Die "Nachtigall" versprach, wieder zu kommen. Sie wird weiter zwitschern. "Hinterm Horizont" sowieso.