Das Tübinger Landgericht musste sich mit einem Fall von sexuellem Missbrauch von Kindern beschäftigen. Foto: M. Bernklau

Jugendkammer verurteilt "Ersatzvater" zu Gefängnisstrafe. Brüder zu Alkohol und Drogen verleitet.

Tübingen/Calw - Zwar berücksichtigte die 3. Große Jugendkammer am Landgericht Tübingen das Geständnis des angeklagten 53-Jährigen bei der Strafzumessung. Doch die Vielzahl von Taten des sexuellen und schweren sexuellen Missbrauchs ergab am Ende dann doch eine Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten.

Zuvor hatte Staatsanwältin Rotraud Hölscher ihm mehr als 60 Fälle des Missbrauchs an Zwillingsbrüdern sowie einem weiteren Jungen vorgeworfen. "Sie waren ihm regelmäßig anvertraut und übernachteten auch bei ihm und er nutzte die Gelegenheit aus", schilderte sie und berichtete von sexuellen Handlungen des Hand- und Oral- bis hin zum Analverkehr – in der Wohnung des Lastwagen-Fahrers im Raum Calw oder auf dienstlichen Fahrten, zu denen er in den Ferien immer wieder einen der Jungs mitnahm.

Erste Taten liegen bereits bis zu elf Jahre zurück

Den Ermittlungen zufolge liegen die ersten Taten bis zu elf Jahre zurück – damals waren die Brüder acht Jahre alt – und erstreckten sich über nahezu sechs Jahre. Darüber hinaus habe er ihnen Alkohol und später auch Drogen verabreicht. Außerdem beschuldigte Hölscher den Angeklagten, 2009 einen weiteren, damals 13-jährigen Jungen missbraucht zu haben.

Für die Weitergabe von Alkohol und vor allem Drogen an Jugendliche war der Beschuldigte bereits vor sieben Jahren vom Amtsgericht in Calw zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.

Auf Vorschlag der Kammer verständigten sich die Prozessbeteiligten, darunter drei Nebenklagevertreter, auf eine Unter- und Obergrenze des Strafrahmens, sofern der Angeklagte ein Geständnis ablege. "Außerdem erklären wir davon sechs Monate als bereits vollstreckt, weil das Verfahren sich zeitlich verzögert hat", sagte der Vorsitzende Richter Armin Ernst.

Und deshalb bewegte sich am Ende die Haftstrafe an der Untergrenze. "Wir sind froh, dass sie sich zu einem Geständnis durchringen konnten und den Geschädigten eine Vernehmung vor Gericht erspart haben", sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Gleichzeitig widersprach er dem Verteidiger Claus Strohmaier, die Taten seien aus der Situation heraus entstanden. "Das waren keine zufälligen Taten, vielmehr wurde ein Vertrauensverhältnis in mehrfacher Hinsicht ausgenutzt", verwies Ernst auf planvolles Vorgehen durch "Attraktionen" wie Lastwagen-Fahrten, unter anderem ins Ausland, Alkohol und Drogen für die Jungen. "Außerdem hat er die defizitären Familienverhältnisse ausgenutzt", erinnerte der Richter an die vermeintliche Unterstützung nach der Scheidung der Eltern der Zwillingsbrüder.

Staatsanwältin vermutet oberflächliches Geständnis

Die 3. Große Jugendkammer blieb mit ihrem Urteil unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft und Nebenkläger. "Ich habe die große Befürchtung, dass sie etwas eingeräumt haben, mit dem sie sich aber nicht nachhaltig auseinandergesetzt haben, also sich bewusst machen, was sie angerichtet haben", hielt die Staatsanwältin dem Angeklagten ein nur oberflächliches Geständnis vor. Die massiven psychischen Beeinträchtigungen, an denen die Geschädigten noch heute leiden, stellten die Nebenklagevertreter dar.