Ein Schuss Heroin – das wollen viele ehemals Süchtige sich nie wieder setzen. Der Mangel an Substitutionsärzten könnte bei manchen aber zu einem Rückfall führen. Foto: Roessler

Ehemalige Abhängige sprechen über Schwierigkeiten, an Ersatzstoffe zu kommen. Erfolgsgeschichten stehen auf dem Spiel.

Calw - Jahrelang waren sie von Heroin abhängig. Ersatzmittel wie Methadon halfen, ein neues Leben aufzubauen. Das gerät nun in Gefahr: Im Kreis Calw gibt es nur noch einen Arzt, der jene Ersatzmittel verschreibt. Ehemalige Süchtige berichten, welche Probleme nun drohen.

Die Fachstelle Sucht in Calw. Sechs Menschen, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Und doch verbindet sie etwas, was man keinem von ihnen ansehen würde: Sie alle sind in die Fänge der gefährlichen Droge Heroin geraten. Und sie alle sind wieder von ihr losgekommen – dank des Einsatzes von Ersatzstoffen (Substitution).

Es ist ein Treffen der Substitutionsgruppe, deren Teilnehmer an diesem Abend eine wichtige Botschaft zu verkünden haben. Denn ihre Therapiemöglichkeit ist gerade dabei, den Bach hinunterzugehen. Weil es im gesamten Kreis Calw nur noch einen Mediziner gibt, der die dringend gebrauchten Ersatzmittel verschreibt – und auch das nur noch bis zum kommenden Sommer. "Es ist jetzt dringender Handlungsbedarf da", betont Peter Heinrich von der Fachstelle Sucht.

Dramatische Situation

Wie dramatisch sich die Situation darstellt, wird im Gespräch mit den Betroffenen, die anonym bleiben möchten, schnell deutlich. Einer der ehemals Abhängigen berichtet beispielsweise, er habe zwar einen neuen Arzt gefunden – der sei aber 70 Kilometer von seinem Wohnort entfernt angesiedelt. Und verlange, dass jeder neue Patient die ersten drei Monate täglich vorbeikomme. Für den Mann, der seit mehr als zehn Jahren kein Heroin mehr angerührt hat, schon wegen seiner beruflichen Tätigkeit praktisch unmöglich.

Die anderen Gruppenteilnehmer nicken zustimmend. Alle sind berufstätig, manche selbstständig, viele haben Familie. Manche waren im Gefängnis, haben sich aber wieder aufgerappelt und führen heute ein normales Leben als "brave Steuerzahler", wie es einer der Betroffenen ausdrückt. Nicht jeder ist hingegen mobil – und die Versorgung mit Ersatzstoffen gerät ins Wackeln.

Rückfälle drohen – oder zumindest ein Erstarken der Drogenszene. "Wenn alle Ärzte aufhören, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir mein Zeug selbst zu besorgen", meint beispielsweise einer der Betroffenen. Wobei er auch weiterhin kein Heroin nehmen will, stattdessen müsse er sich dann seine Ersatzstoffe auf dem Schwarzmarkt besorgen. Und würde somit in die Illegalität getrieben.

Eine Vorstellung, die keinem in der Gruppe behagt. Niemand will zurück in die alte Szene, wieder die alten Bekannten anrufen, zu denen der Kontakt ganz bewusst abgebrochen wurde. Das Schlimmste daran: Sollte Substitution nicht mehr legal möglich sein, fürchten sich alle vor dem Tag, an dem es auf dem Schwarzmarkt einmal keine Ersatzmittel geben sollte. Dass dann möglicherweise wieder Drogen ins Spiel kommen könnten, denen sie vor so langer Zeit abgeschworen haben. Dass ihre hart erkämpften Leben in sich zusammenbrechen. "Und das Leben mit der Sucht ist beschissen", berichtet einer der Betroffenen. Alles drehe sich dann nur noch um Heroin. Das sei kein Leben mehr, nur noch ein "am Leben erhalten".

Die Drogen-Biografien der Menschen, die eine Substitutionstherapie brauchen, sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst, weiß Peter Heinrich – vom Langzeitarbeitslosen bis zum Firmenchef. "Ein Spiegelbild der Gesellschaft", so Heinrich. Manche haben zur Droge gegriffen, weil sie mit psychischen Problemen kämpften und versuchten, sich selbst zu therapieren. Andere hatten die falschen Freunde. Einige unterschätzten schlicht die Gefahr und schlitterten so in die Sucht hinein.

Ursprünglich sollte die Substitution als Übergang zum völligen Ausstieg aus der Sucht verhelfen. Die Erfahrung mit dieser Therapie machte in den vergangenen Jahren jedoch deutlich, dass dies nicht jeder schafft und manche dauerhaft auf Medikamente angewiesen sein werden. Manchen haben diese Ersatzstoffe wohl das Leben gerettet. Und einige der Betroffenen sehen sich längst nicht mehr als Süchtige. Sondern als Kranke, die ihre Medizin brauchen.

"Da wird in jedem einzelnen Fall eine langwierige Erfolgsgeschichte aufs Spiel gesetzt", klagt Heinrich. "Da geht alles kaputt. Absolut alles", pflichtet ihm einer der Betroffenen zu.

Zuständig dafür, dass genügend Substitutionsärzte zur Verfügung stehen, ist im Übrigen die Kassenärztliche Vereinigung. "Fairerweise muss man aber sagen, dass die sich auch keinen backen können", räumt der Suchtberater ein.

Manche tricksen

Trotz allen Frustes gibt es jedoch auch in gewisser Hinsicht Verständnis für die Ärzte. Denn die Auflagen für den Umgang mit den Ersatzmitteln sind streng. Und nicht jeder ehemals Süchtige spiele mit offenen Karten. Manche versuchten zu tricksen, um an mehr Stoff zu kommen, indem sie beispielsweise behaupten, ihre Ration "verloren" zu haben. Und überhaupt seien Menschen, die mit Heroin zu tun hatten, "immer noch extrem verrufen", meint eine Frau. "Viele denken an Junkies, die am Bahnhof rumhängen. Dabei ist das seit vielen Jahren nicht mehr so – dank der Substitution."

Damit das auch so bleibe, fordern die Betroffenen eine Garantie für Substitution von staatlicher Seite. "Optimal wäre eine Schwerpunktpraxis zentral im Kreis Calw", meint einer der Männer.

Ob sich die Politik jedoch noch rechtzeitig bewegt, bevor es zum Äußersten kommt, da sind manche der Betroffenen skeptisch. "Da passiert erst was, wenn es wieder an jedem Bahnhof eine Drogenszene gibt", ärgert sich einer von ihnen – mit deutlicher Resignation in der Stimme.