Unerlaubt wurde eine Reichskriegsflagge gehisst. Foto: Rousek

Gemischte Reaktionen nach unerlaubtem Hissen von Flagge bei Lebenshilfe.

Calw/Althengstett-Neuhengstett - Die kaiserliche Kriegsflagge im Garten der Lebenshilfe Calw – Christina Stein, Leiterin der Offenen Hilfen des Vereins, war schockiert über diese Entdeckung. Sie ist überzeugt, dass da jemand ein politisches Zeichen setzen wollte. In den sozialen Medien bekommt sie dafür eine Menge Gegenwind.

Kurz vor dem Jahreswechsel haben Unbekannte im Garten der Calwer Lebenshilfe in Neuhengstett die kaiserliche Kriegsflagge gehisst. Die Regenbogenflagge, die normalerweise dort hängt, um die Vielfalt der Gesellschaft zu symbolisieren, wurde gestohlen (wir berichteten).

Während die Polizei das Ganze für einen harmlosen Jugendstreich hält, bleibt Stein bei ihrer Meinung: Dahinter steckt eine klare politische Aussage. Eine, die gerade in Zusammenhang mit Menschen mit Behinderungen nicht akzeptabel sei. Denn obwohl die Kriegsflagge der kaiserlichen Marine (und bis 1921 Reichskriegsflagge) nicht verboten ist, wird sie oft mit rechtsradikalem Gedankengut in Verbindung gebracht. Für Stein hört da der Spaß auf.

Viele kommentieren das Ganze nur mit einem Lachen

In den sozialen Netzwerken hat die Geschichte der Lebenshilfe für viel Wirbel gesorgt. Allerdings weniger, weil die Menschen sich ebenso wie Stein über die Aktion geärgert haben. Vielmehr machen sich die meisten darüber lustig. "In der USA hissen die auch noch die andere Flagge, juckt kein Menschen dort", schreibt ein Nutzer. "Das Zeigen der Flagge ist nicht strafbar. Denke, es gibt Wichtigeres in diesem Land", ein anderer. Viele kommentieren das Ganze einfach nur mit lachenden Gesichtern. Zahlreiche Facebook-Nutzer loben gar diejenigen, die die Reichskriegsflagge aufgehängt haben.

Nur wenige stimmen Stein zu. "Ich habe mir einige von den Profilen der Leute, die das so lustig fanden, mal genauer angeschaut", meint sie. Gewundert habe sie sich dann nicht mehr. Die meisten davon hätten Seiten zu ihren Interessen hinzugefügt, die ganz klar auf eine politische Gesinnung hindeuten würden, die zu der Flagge passen.

Doch es gibt auch die andere Seite. Jene Menschen, die hinter Stein stehen. So zum Beispiel beim Neujahrsempfang des Vereins. "Viele der Familien waren sehr betroffen und teils den Tränen nah", erzählt sie. Eine Frau habe Stein sogar für ihren Mut gelobt, offen über das Thema zu sprechen. "Da war ich sehr erschrocken", gibt Stein zu. Schließlich sei es für sie selbstverständlich, seine Meinung zu sagen. "Wenn das schon als Mut aufgefasst wird, sagt das auch etwas über unsere Gesellschaft aus."

Seit der Diebstahl der Regebogen-Flagge sowie das Hissen der Reichskriegsflagge öffentlich wurde, hat Stein auch eine wahre Flut an E-Mails aus ganz Deutschland erhalten. Sogar Spenden in Form von neuen Regenbogen-Flaggen seien gekommen. "Inzwischen haben wir schon mehr als zehn Stück erhalten", freut sie sich. Alle davon sollen ihren Platz im Garten der Lebenshilfe bekommen. Damit es wieder richtig bunt wird.

Als Unterstützung hat auch die Fachstelle mobirex – Mobile Beratung gegen Rechts in Baden-Württemberg Stein kontaktiert. "Wir müssen jetzt erst die Situation analysieren und dann schauen wir weiter", erklärt ein Sprecher. Eventuell plane man eine gemeinsame Aktion, um ein Zeichen zu setzen.

Erschreckend sei für ihn vor allem, dass diejenigen, die das Problem benennen, selbst zum Problem gemacht werden. Der Sprecher sieht die Aufgabe seines Vereins gerade deshalb darin, für das Thema zu sensibilisieren.

Ebenso sieht es Ingo Pezina, Geschäftsführer des Landesverbands der Lebenshilfen. Stein hatte sich nach dem Vorfall an ihn gewandt. "Wir waren sehr betroffen", meint er. "Selbst wenn es ohne großes Nachdenken geschehen sein sollte, muss man sich mit dem Thema auseinandersetzen." Wie die Polizei damit umgeht – das Ganze einfach als Streich abzutun – hält Pezina für den falschen Weg. Auch er befürchtet, dass sich die Gesellschaft in die falsche Richtung bewegen könnte, was sich insbesondere durch eine Zunahme von rechten Äußerungen zeige. "Das ängstigt die Menschen mit Behinderungen", meint er. Pezina sei mit Stein in Kontakt, ebenso wie mit dem Vorstand des Verbands. "Wir sind dran, Reaktionen abzustimmen."

Christina Stein ist nach wie vor froh, sich mit dem Thema an die Öffentlichkeit gewandt zu haben. "Solche Sachen müssen diskutiert werden", bekräftigt sie. "Auch wenn sich Leute darüber lustig machen – es gibt auch viele, die dadurch sensibler werden. Und das ist wichtig."