Das Stahlgerüst, das die marode Brücke stützen soll, wird voraussichtlich ab Ende der Woche gebaut. Foto: Rousek

Bahn will Zeitplan von bis zu vier Wochen aufrechterhalten. Experte übt Kritik. Mit Glosse

Calw - Die marode Bahnbrücke am Calwer Adlereck und das daraus resultierende Verkehrschaos ist nach wie vor heiß diskutiertes Thema in der Stadt. Und das wird auch die kommenden Wochen so bleiben. Denn die Bahn bestätigte jetzt den groben Zeitplan von drei bis vier Wochen.

"Die Statik für das Sicherungsgerüst ist gemacht", vermeldet eine Bahnsprecherin aus Stuttgart den aktuellen Stand. Die Teile dafür werden wohl Ende der Woche angeliefert und dann in einer Werkstatt zusammengesetzt. Parallel dazu sind Vorarbeiten an der Brücke vorgesehen, um den Mitarbeitern eine Hilfskonstruktion zu errichten, "damit diese jederzeit sicher sind", heißt es weiter.

Stichwort sicher: Das war die Brücke seit dem schicksalsträchtigen Mittwochabend, an dem die Stahlbetonbrücke als einsturzgefährdet eingestuft und deshalb der Verkehr auf der darunter verlaufenden B 296 ausgesperrt wurde, nicht mehr. Doch bereits weit im Voraus kamen erste Bedenken auf, wie Konstantin Brümmer, Leiter des Regionalnetzes bei der Deutschen Bahn, noch am Donnerstagmittag einräumte.

Analyse zieht sich über Monate hin

Im Oktober 2018 sei die Brücke turnusmäßig geprüft worden, was eine detailliertere Analyse nach sich zog. Die zog sich allerdings mehr als ein halbes Jahr hin.

Durchaus keine Seltenheit, weiß ein Experte der Uni Stuttgart, dessen Abteilung unter anderem für Bauwerksprüfungen ins Boot geholt wird. "Wenn man das richtig machen will, muss das betroffene Bauteil einer genauen Schadensanalyse unterzogen werden", erklärt der Uniprofessor, "gerade wenn das Bauwerk 40 Jahre in der Gegend steht und der Witterung ausgesetzt ist."

Und genau das ist bei der Brücke am Calwer Adlereck der Fall: 1951 wurde sie erbaut, 1981 stillgelegt. So ist das Bauwerk schon seit 38 Jahren unbenutzt und steht mehr oder minder nutzlos in der Landschaft. Bahn-Mann Brümmer konnte schon am Donnerstag der Vorwoche keinen plausiblen Grund dafür nennen und wusste nicht, weshalb die Brücke nicht schon längst dem Erdboden gleichgemacht wurde – zumal für eine mögliche Wiederbelebung der Hesse-Bahn diese gar nicht benötigt wird.

Notwendige Sperrung

Das wiederum stößt bei Klaus Butzke vom Verkehrsministerium des Landes auf Unverständnis. Der Experte für Bauwerksprüfung erklärt in Bezug auf die Straßenbrücken in Baden-Württemberg: "Ich wüsste keine Brücke, die bei uns einfach so ungenutzt herumsteht. Die werden schnellstmöglich abgebrochen, schon aus Naturschutzgründen." Butzke, der selbst acht Jahre lang als Brückenprüfer unterwegs war, schiebt nach: "Aufgegebene Bahnstrecken haben wir eigentlich genug im Land."

Jetzt gesellt sich mit der Calwer Brücke eine weitere hinzu. Einfach abgebrochen werden kann sie jetzt aber auch nicht mehr – zu groß sei die Gefahr laut Bahn, dass die Brücke bei der Demontage vollends in sich zusammenfällt.

Die Spannstähle der Brücke weisen Risse auf, man fürchtet, dass diese noch größer werden im Laufe der Zeit und lässt deshalb auch bei der Rettung des Bauwerks größte Vorsicht walten. "Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer steht hier an erster Stelle", bekräftigt die Bahnsprecherin die notwendige Sperrung.

Das Problem daran: Bereits im Oktober 2018 war die letzte Überprüfung der Calwer Eisenbahnbrücke – seitdem konnte der Verkehr dennoch darunter rollen. "Die Brücke befand sich bisher in der Zustandskategorie 3", lässt die Sprecherin wissen.

"Da muss was getan werden"

Allerdings erstreckt sich die Notenskala der für Brückenprüfungen gültigen DIN-Norm 1076 nur bis zur Endnote 4 – auch die daran eng angelehnte Richtlinie der Bahn. Im Übrigen gilt die DIN 1076 laut Butzke auch für die Brücken der Bahn und vor allem auch "solange das Bauwerk steht", verdeutlicht der Experte. Die Norm schlüsselt die Notengebung der Bauwerke noch genauer auf und weist für die Zustandskategorie 3 Notenspannen von 3,0 bis 3,4 und 3,5 bis 4,0 aus. "Bei Note 3 oder schlechter besteht Handlungsbedarf, da muss was getan werden", erklärt Butzke den Ernst der Notenlage.

"Schadensbeseitigung oder Warnhinweise zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit oder Nutzungseinschränkungen sind umgehend erforderlich", steht auch in besagter DIN-Norm 1076 zum Notenspektrum 3, das mit der Gesamtbewertung "nicht ausreichend" überschrieben ist.

"In so eine Prüfung werden alle Mängel miteinbezogen und bewertet. Da spielen Standsicherheit, Verkehrssicherheit auf und unter der Brücke, aber auch Dauerhaftigkeit eine Rolle", erklärt der ehemalige Bauwerksprüfer Butzke vom Verkehrsministerium in Stuttgart.

Fakt ist: Nach der Inspektion der Brücke im Herbst vergangenen Jahres handelte die Bahn und schickte Proben der Brücke an die Stuttgarter Uni. "Auf Grundlage dieser Ergebnisse und nach vertiefender Prüfung und Begutachtung zahlreicher Fachexperten wurde entschieden, die Bundesstraße unter der Brücke kurzfristig zu sperren", verweist die Bahnsprecherin schlussendlich auf das bekannte und jähe Ende.

Offen bleibt hingegen, ob es sich bei der Oktober-Prüfung um eine alle sechs Jahre vorgesehene Hauptprüfung mit größerem technischen Aufwand handelte und welche genaue Note sich dabei ergab. Nachfragen zu diesen beiden Punkten ließ die Bahnpressestelle in Stuttgart bis Redaktionsschluss am späten Abend unbeantwortet.

Glosse: Traum von der Wiedervereinigung

Von Bianca Rousek

Deutschland ist seit genau 30 Jahren wieder vereint. Ganz Deutschland? Nein! Eine Stadt im Nordschwarzwald zieht da nicht mit. Calw ist seit vergangener Woche in zwei Teile gespalten. Ost-Calw und West-Calw.

Unter der Eisenbahnbrücke am Adlereck ist kein Durchkommen mehr. Zu Fuß die Freunde auf der anderen Seite besuchen? Keine Chance. Mal kurz auf der anderen Seite einkaufen? Unmöglich. Ost-und West-Calw sind getrennt durch mehrere, schier unüberwindbare Absperrungen.

Andererseits: Ist es nicht auch toll? Da besteht 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die Möglichkeit, In Calw alles noch einmal zu erleben. Nur schneller und weniger dramatisch. Und: Man kann das Geschehen sogleich auf Instagram & Co. teilen. Wiedervereinigung 2.0 quasi.

Während Ost-Calw und West-Calw also noch getrennt sind, beginnen wir mit der Organisation der Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung. Diese soll ja in rund drei Wochen geschehen.
Ein angemessener Stargast wäre David Hasselhoff. Während sich am Adlereck die Ost- und WestCalwer in die Arme fallen, steht er auf der Eisenbahnbrücke und steuert den Soundtrack zur Wiedervereinigung bei: "Looking for Freedom".