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Stress-Experte Christoph Hirsch aus Calw rät im Interview dazu, den eigenen Akku im Blick zu behalten. Meditation, sportlicher Ausgleich oder die Natur können dabei helfen

Einfach abschalten: An diesem Donnerstag, 15. August, ist der internationale Tag der Erholung. Die Idee für diesen Jahrestag stammt aus den USA. Doch auch hierzulande tut Erholung gut. Grund genug, mit Christoph Hirsch, Mindset- und Stress-Experte aus Calw, über dieses Thema zu sprechen.

Calw. Der internationale Tag der Erholung ist ein guter Anlass, einmal einen kritischen Blick auf den eigenen "Energiestatus" zu werfen. Wie sieht es damit aus? Alles im grünen Bereich? Oder ist der Akku fast leer? Nach der Berufswelt hat die ständige Optimierung auch in der Freizeitgestaltung Einzug gehalten. Echte Auszeiten scheinen immer mehr zur Ausnahme zu werden. Bleibt dabei die Entspannung auf der Strecke?

Darüber haben wir mit Christoph Hirsch, Mindset- und Stress-Experte aus Calw, gesprochen.

Aufstehen, Frühstück, auf zur Arbeit. Essen kochen, Kinder zum Sport bringen, Pläne schmieden und digitale Nachrichten austauschen. Nach dem Abendessen noch etwas Fernsehen und dann vielleicht todmüde ins Bett fallen.

Wir haben immer etwas zu tun, sind immer beschäftigt und irgendwas muss immer erledigt werden. Auch wenn sich das Hamsterrad scheinbar immer schneller dreht: Wie wichtig sind tägliche Auszeiten, Herr Hirsch?

In meinen Augen: unglaublich wichtig. Wer kennt nicht die Tage, an denen alles scheinbar zu schnell, zu eilig und auch schlicht zu viel wird? Dazu die Flut an Nachrichten, die jeden Tag auf allen Kanälen auf uns einprasselt und eigentlich gar nicht mehr verarbeitet werden kann. Und überall dabei sein wollen wir auch. Wem in solchen Situationen die Möglichkeiten oder das Know-How fehlt, sich zumindest kleine Pausen zu gönnen, kommt schnell an seine physischen und psychischen Grenzen. Negativer Stress ist da nicht mehr weit.

Viele von uns hetzen sich nicht nur auf der Arbeit, sondern auch zu Hause und in Ihrer Freizeit ab. Warum wird gerade aus der Zeit, in der wir die dringend notwendige Erholung suchen, heute so oft Stress?

Der Grund dafür liegt aus meiner Sicht vor allem an zwei wesentlichen Faktoren: Erstens, dank der Digitalisierung, verschwimmt die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben immer mehr. Wir checken morgens schon vor dem Frühstück geschäftliche Mails und beantworten diese auch spätabends noch. Wir glauben heute 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, also rund um die Uhr, erreichbar sein zu müssen. Zweitens: unsere Ansprüche. Jeder will ein möglichst erfülltes Leben. Nach der Arbeitswelt stellen viele heute auch das Privatleben unter das Diktat der Optimierung. Wirklich mal zur Ruhe zu kommen wird dadurch zu einer echten Herausforderung.

Haben wir aus Ihrer Sicht verlernt, zu Hause auch mal Fünfe gerade sein zu lassen?

Ich glaube, ja. Wie viele Menschen sind heute auch im Privatleben auf Wochen "ausgebucht". Spontan ein Treffen mit Freunden zu realisieren wird immer schwieriger. Wie im Büro versuchen viele, jedes Zeitfenster optimal zu nutzen. Wann mache ich welchen Sport, wann und wo treffe ich welche Freunde, meine Lieblingsserie will ich nicht verpassen, das Smartphone "pingt" mich alle paar Sekunden wegen neuer digitaler Nachrichten oder E-Mails an und jede Nachricht muss ja heute möglichst sofort beantwortet werden. Studien zeigen auch recht eindeutig, dass wir heute in quasi allen Lebensbereichen auch unser Anspruchsdenken deutlich nach oben geschraubt haben. Ganz egal, ob es um das eigene Zuhause, den Urlaub, unser Auto, unsere Hobbies oder auch die Ansprüche an die Kindererziehung oder unsere Ernährung geht. Daran ist erst mal nichts falsch, aber es kostet eben Zeit und Energie und produziert damit eben auch Stress.

Wenn wir uns dann doch einmal Zeit für Erholung gönnen, wie lange brauchen wir, um wirklich richtig zu entspannen?

Darüber sind sich auch Experten nicht ganz einig. Wahrscheinlich ist es auch gar nicht möglich, eine pauschale Aussage zu treffen. Dafür sind die Menschen zu unterschiedlich. Fest steht aber, dass, bis eine wirkliche Erholung eintritt und die Stresshormone im Körper wirklich abgebaut werden, schon mal zwei bis drei Wochen vergehen können. Es ist daher ratsam, mindestens einen längeren Urlaub im Jahr einzuplanen. Aber auch die vielleicht nur kleinen Auszeiten – wie ein Ausflug über das Wochenende – sind hilfreich und wertvoll. Auch die Art und Weise, wie wir unsere Freizeit verbringen, kann positiv wirken.

Gibt es aus Ihrer Sicht einen Stress-Faktor, mit dem man besonders achtsam umgehen sollte?

Ein Riesenthema ist heute sicherlich das Smartphone. Wer meint, heute immer und überall erreichbar sein zu müssen, bei jedem "ping" auf das Handy schaut und dann auch noch meint, jede Nachricht sofort beantworten zu müssen, produziert seine eigene Stressfalle. Es gilt heute mehr denn je auf sein eigenes digitales Verhalten zu achten und sich digitale Auszeiten zu gönnen, sonst wird das Helferlein zum Quälgeist. Und eigentlich soll das Smartphone ja uns dienen und nicht umgekehrt. Außerdem sollte – da wo möglich – eine klare Grenze zwischen Berufs- und Privatleben gezogen werden. Es muss Zeiten geben, die der Familie oder einem ganz alleine gehören in denen geschäftliche Themen Tabu sein sollten.

Vielen Menschen fällt es schwer, einfach mal nichts zu tun. Haben Sie Tipps, wie Erholung trotzdem gelingen kann?

In der Tat. Wer einmal selber versucht, wirklich nur fünf Minuten nichts zu tun, kann leicht herausfinden, wie schnell das Gehirn anfängt, alle möglichen Gedanken zu produzieren oder eben doch die Versuchung entsteht, das Handy wieder in die Hand zu nehmen. Zur Ruhe, wirklich zu sich zu kommen, ist zu einer echten Kunst geworden und verlangt Achtsamkeit. Mir persönlich helfen dabei Meditation, Atemtechniken, sportlicher Ausgleich und die Natur oder auch entspannte Treffen im Freundeskreis. Anderen fällt es leichter abzuschalten, wenn sie Musik hören, künstlerisch tätig sind oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausüben. Es gilt, seine ganz persönlichen Relax-Favoriten zu finden und diese so oft wie möglich einzusetzen. Es muss dann nicht immer der große Urlaub in fernen Ländern sein, um Erholung zu finden, den eigenen Akku wieder aufzuladen und seine Energiereserven für die nächsten Aufgaben aufzufüllen.