Die kleine Whisky-Flasche auf dem Pult demonstriert eine der Spuren am Tatort des Barschel-Mordes: In einem solchen Fläschchen wurden Reste der Medikamente gefunden, die Barschel betäubten, bevor er an einer finalen Dosis Cyclobarbital starb, berichtete Heinrich Wille. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Volkshochschule: Heinrich Wille berichtet von Recherchen im Fall Barschel / Spur führt zu Geheimdiensten

Calw - Wer einen unterhaltsamen Thriller-Abend erwartete, war hier falsch: Detailreich, aber juristisch trocken präsentierte der ehemalige leitende Lübecker Staatsanwalt Heinrich Wille in der Volkshochschule Calw die Erkenntnisse seiner Ermittlung im Fall Uwe Barschel. Seine klare Aussage: "Es war Mord!"

Auf eineinhalb Stunden hatte die Volkshochschule die Lesung mit dem prominenten Barschel-Ermittler aus dessen jahrelang verbotenen Buch angesetzt; Wille brauchte zweieinhalb Stunden, um die Fülle an Fakten, Ungereimtheiten, Hintergrundberichte und auch Ungeheuerlichkeiten über einen Staat, der seine Ermittlungen scheinbar konsequent be- und verhinderte, zu entwickeln.

Verbotenes Buch? Steht nicht im Artikel fünf des Grundgesetzes: "Eine Zensur findet nicht statt"? – Heinrich Wille musste tatsächlich um das Recht auf Veröffentlichung seines Buches "Ein Mord, der keiner sein durfte: Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates" vor Gerichten kämpfen. Erst als er seinen Dienst als Staatsanwalt quittierte, konnten seine damaligen Vorgesetzten im schleswig-holsteinischen Justizministerium das Erscheinen des Werkes nicht weiter verhindern. Was andererseits aber auch die Neugierde auf den Inhalt des Buches landesweit außerordentlich steigerte.

Wobei der Sprengstoff in dem, was Heinrich Wille aus erster Hand zu erzählen hat, sich tatsächlich auf zwei Ebenen verteilt: Einmal die Ermittlungen im Fall des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel selbst, der 1987 auf dem Höhepunkt der sogenannten Barschel-Pfeiffer-Affäre in Genf in einer Hotelbadewanne starb. Und dann – so Wille – die massiven Behinderungen und Eingriffe in seine Ermittlungen in den Fall vonseiten der deutschen Behörden einschließlich des Bundesnachrichtendienstes – die Wille letztlich mehr als einmal am deutschen Rechtsstaat zweifeln ließen, zu dem er als leitender Staatsanwalt ja eigentlich selbst gehörte.

Drei Tatort-Indizien

Die Ermittlungen: Dass Barschel definitiv ermordet wurde, macht Wille an drei Tatort-Indizien fest. Zum einen sei da ein abgerissener Hemdknopf von Barschel gefunden worden, den Barschel – gemessen am "Abrisswinkel" des Knopfes (schräg nach oben vom Körper weg) – sich nicht selbst abgerissen haben konnte, sondern nur jemand, der ihn an seiner Krawatte aus liegender Position hochriss. Was ein unmissverständlicher Hinweis "auf diskrete Gewalt gegen Barschel" sei.

Zweites Indiz, das für Mord spricht: Ein Hämatom an Barschels linker Stirnseite, das er sich ebenfalls nicht selbst zugefügt haben konnte – und das gemäß Erkenntnissen der Rechtsmedizin einige Zeit vor dem Tod Barschel zugefügt worden sein muss. Und schließlich seien Farbreste von Barschels Schuhen an einem Badvorleger und einem Handtuch gefunden worden – zusammen mit Aluminium-Flakes, die von einer Beschriftung im Innern der Schuhe stammten. Und die mit einer Polyurethan-Lackierung fixiert gewesen seien, die sich nur mit speziellen Chemikalien lösen lasse. In Experimenten hätten Wille und sein Team ausgerechnet die Substanz Dimethylsulfoxid als einzig möglichen Stoff identifiziert, der die vorgefundene Spurenlage verursachen konnte: Eine Substanz, die die Haut durchlässig macht für jede andere Form von Stoffen – zum Beispiel Gifte.

Und von denen wurde wiederum ein ganzer Cocktail im Körper von Uwe Barschel gefunden. In einem Rechtsgutachten des Züricher Toxikologen Hans Brandenberger, Gerichtsmediziner und ehemaliger Leiter der chemischen Abteilung am Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Zürich und Professor für chemische Toxikologie, heißt es dazu: Die Reihenfolge der Aufnahme dieser Substanzen lasse vermuten, dass Barschel selbst schon zu betäubt war, um sich die final tödliche Dosis von Cyclobarbital noch selbst zu verabreichen. Noch ein Indiz, das für Mord spricht, so Wille. Und das in der Gesamtschau der dadurch sichtbaren Tatumstände auf einen nachrichtendienstlichen Hintergrund des Barschel-Mordes hindeute.

"Mit den Mitteln des Rechtsstaates sind wir so weit gekommen wie es ging", resümiert Wille. "Weiter rein kommt man da nicht." Doch wollten Willes Calwer Zuhörer schon auch noch etwas über die Motive für einen Mord an Uwe Barschel wissen, der am Tag nach seinem Tod vor dem damals eingesetzten Untersuchungsausschuss zur Barschel-Pfeiffer-Affäre hätte aussagen sollen. Willes Verdacht: "Es hatte mit der Iran-Contra-Affäre" zu tun und/oder dem seinerzeit öffentlich diskutierten Skandal um die illegale Lieferung von U-Boot-Plänen an den damaligen Apartheit-Staat Südafrika. Barschel sei, so Wille, in eine Vielzahl von Waffengeschäften involviert gewesen, wie Erkenntnisse etwa aus Barschels Stasi-Akte gezeigt hätten. "Nur darüber hätte er damals auspacken können."

Womit Wille zu der Stelle seines Berichts kam, die einen als Bundesbürger besonders schmerzen muss: "Das waren Formen von Staatsverbrechen", die mit allen Mitteln vertuscht und geheimgehalten werden mussten. Was eben nicht irgendwer sagt und behauptet – sondern ein (ehemals leitender) Oberstaatsanwalt, der selbst Organ dieses Staates war. Womit Willes Buch und sein Auftritt bei der Volkshochschule eben auch zu einem Plädoyer für die Wachsamkeit der Bürger gegenüber ihrem Staat wurden.