In den Räumen einer ehemaligen Metzgerei fand die Polizei eine Cannabis-Plantage. Foto: Berg

"Aushilfsgärtner" wird von Gericht nur für Beihilfe verurteilt. Indizien lösen sich in Rauch auf.

Calw/Bad Teinach-Zavelstein - "Haben wir heute Kappen-Abend!?" So recht glauben mochte Amtsgerichtsdirektorin Brigitte Lutz auch nicht, was ihr da in über neunstündiger Verhandlung noch als "Fall" übrig blieb. Reingeführt wurde am Morgen von fünf Justizbeamten in Fußfesseln offensichtlich ein "ganz schwerer Junge". Der seit Anfang Februar in Untersuchungshaft saß.

Vorwurf gegen den 50-Jährigen: Er soll in einer ehemaligen Metzgerei in Bad Teinach- Zavelstein gleich zwei Cannabis-Plantagen betrieben haben – mit dem Ziel, verbotene Betäubungsmittel illegal zu handeln. 93 Pflanzen in verschiedenen Wachstumsstadien und in einem Gewächshaus 65 Setzlinge konnte die Polizei damals nach "einem Tipp" aus der Bevölkerung sicherstellen.

Doch wie der aufnehmende Kriminalbeamte im Polizeipräsidium (PP) Karlsruhe von diesem Tipp auf den Angeklagten als Verdächtigem für den Betrieb der Cannabis-Plantagen kam, ließ sich in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Calw irgendwie nicht mehr nachvollziehen. Dem Tipp-Geber war "absolute Vertraulichkeit" zugesichert worden, was – zur Überraschung von Gericht, Anklagevertretung und Verteidigung – offensichtlich beim Polizeipräsidium Karlsruhe auch bedeutet: Es wird von diesem Vorgang kein genaues Vernehmungsprotokoll des Tipp-Gebers angefertigt, sondern nur ein Aktenvermerk.

Dafür hatte der zuständige Kriminalbeamte – zur Verhandlung als Zeuge geladen – nur einen Abgleich mit dem Melderegister gemacht, um auf den Namen des Angeklagten zu kommen – der tatsächlich unter der Adresse der ehemaligen Metzgerei seit geraumer Zeit gemeldet war. Allerdings – das sollte später der Eigentümer und Vermieter der ehemaligen Metzgerei vor Gericht glaubhaft aussagen: Bezogen hatte der 50-Jährige bisherige Hauptverdächtige in diesem Fall seine (neue) Wohnung im Obergeschoss des Metzgerei-Gebäudes nie – weil diese nämlich durch zwei Wasserschäden unbewohnbar war.

Angeklagter äußert sich nicht zur Sache

Außerdem – auch das offenbarte der Vermieter dem Gericht: In dem Gebäude wohnten bis zu sechs Parteien. Warum das der ermittelnde Kripobeamte nicht bei seiner Recherche ermitteln konnte – blieb offen. Pech für den Angeklagten: Er wohnte zwar tatsächlich (immer noch) in einem anderen Ort (in einer Wohnung des gleichen Vermieters), hatte aber einen Schlüssel auch für die Räume der Metzgerei, in der die Cannabis-Zucht von der Polizei sichergestellt worden war. Man fand die Schlüssel bei der Durchsuchung der Wohnung des 50-Jährigen – gemeinsam mit einem Handy (das eine nach Meinung der Ermittler verräterische SMS-Korrespondenz enthielt) und "Verpackungsmaterial" von Gegenständen, die man für die Cannabis-Aufzucht braucht.

Was man nicht fand: irgendwelche Spuren vom Angeklagten in den Räumen der Cannabis-Plantage selbst. Dafür aber DNA-Spuren und Fingerabdrücke von gleich zwei weiteren, Polizei-bekannten Personen – die zudem, so die Ermittlung der Kriminalpolizei Calw (die später die eigentlichen Ermittlungen in diesem Fall vom Polizeipräsidium Karlsruhe übernommen hatten) mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz einschlägig vorbestraft sind. Auch der Angeklagte heute ist vorbestraft – gleich neunmal. Aber nicht "einschlägig" wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, sondern wegen Diebstählen. Aber trotzdem landete (ab Anfang Februar) erst mal nur der 50-Jährige in Untersuchungshaft.

Warum, kann seine (Pflicht-)Verteidigerin irgendwie nicht nachvollziehen. In anderen Fälle gehe es um wesentlich "gewaltigere Mengen BTM" (Betäubungsmittel) – "und die Angeklagten springen draußen frei rum". Eine Fluchtgefahr habe es bei dem 50-Jährigen nie gegeben. Er habe sich auch in der Vergangenheit immer seiner Verantwortung gestellt – obwohl der 50-Jährige als so genannter "Reichsbürger" die staatliche Autorität eigentlich ablehne. Verdacht der Verteidigerin: Ihr Mandant sei hier "wegen seines schwierigen Wesens" einer Vorverurteilung der Ermittlungsbehörden ausgesetzt gewesen.

Tatsächlich hatte sich der 50-Jährige weder bei seiner Verhaftung, noch hier vor Gericht in irgendeiner Form zur Sache geäußert. Er machte, weil er sich bedroht fühle, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Auch kamen die Ermittlungen gegen die anderen beiden mutmaßlichen Täter irgendwie nur mit großer Verzögerung in Gang. Die Polizei hatte sich offensichtlich zu sehr auf den 50-Jährigen fixiert. "Warum sind Sie so auf Herrn ... los!?", will die Richterin vom zuständigen Kripo-Beamten wissen. Der bleibt eine schlüssige Antwort schuldig.

Gericht bleibt unter Forderung der Anklage

Am Ende, als sich nach den Befragungen des Vermieters und der zuständigen Kripo-Beamten immer mehr Tatvorwürfe in Rauch auflösten, sah auch der Staatsanwalt ein, dass hier der falsche Angeklagte vor Gericht stand. Keine Verurteilung als Haupttäter forderte er mehr, sondern nur noch wegen Beihilfe als "Aushilfsgärtner" des im Verfahren ermittelten, neuen mutmaßlichen Haupttäters. Seine Forderung: ein Jahr Gefängnis auf Bewährung und sofortige Aufhebung des Haftbefehls. Die Verteidigung forderte Freispruch – weil die verbliebenen Beweise "zu dünn" für eine Verurteilung seien. Dass allerdings sahen Richterin Lutz und ihre zwei Schöffen anders. Und werteten die verbliebenen Indizien zu Ungunsten des Angeklagten, auch wenn sie mit einer Verurteilung zu nur sechs Monaten Haft (ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung) deutlich unter der Forderung der Anklage blieben.

Der Haftbefehl gegen den 50-Jährigen wurde mit sofortiger Wirkung aufgehoben und ihm noch vor der Urteilsbegründung die Fußfesseln entfernt.

Gegen das Urteil kann sowohl Revision als auch Berufung eingelegt werden.