Kaspar Pfister will neue Konzepte in die Pflege einführen. Foto: Rapthel-Kieser Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: BeneVit Chef Kaspar Pfister über sein Modellprojekt "Rheinaue" und den Begriff "stambulant"

Burladingen/Whyl. Der Burladinger Kaspar Pfister, Gründer und Betreiber der BeneVit und Ärztehaus-Investor, gilt als einer der innovativsten Pflegeunternehmer bundesweit. Derzeit läuft in einem seiner Häuser, in der "Rheinaue" in Whyl bei Freiburg, ein Modellprojekt. Er beschreibt es mit dem Begriff "stambulant".

Herr Pfister, Ihre Seniorenpflegeheime mit Wohngruppen und Hausgemeinschaften unterscheiden sich deutlich von anderen Heimen. Was ist ihr Ziel ?

Kundenzufriedenheit! Innovation ist kein Selbstzweck, aber wenn Dienstleistungen am pflegebedürftigen Menschen heute mehr oder weniger genauso definiert werden wie vor 20 Jahren, dann muss die Frage erlaubt sein, ob das zukunftsfähig ist oder nicht besser geht. Wir richten unsere Angebote an allen 30 Standorten in Deutschland an den Bedürfnissen unserer Kunden aus und verknüpfen das mit guter Pflege und guter Therapie. Dabei schauen wir auf aktuelle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung, aber auch auf unsere eigene Praxiserfahrung. Alle zwei Jahre machen wir mit der Dualen Hochschule Stuttgart eine Kundenbefragung. Die Ergebnisse fließen in unsere Dienstleistungsangebote ein. Dabei müssen wir laufend dicke Bretter bohren und unsere Linie ständig verteidigen.

Jetzt haben Sie seit Juni 2016 in Whyl im Kaiserstuhl in ihrem Haus "Rheinaue" ein Modellprojekt laufen. Was ist dort neu?

Alles. Wir haben die starren Sektoren, die in der Pflegeversicherung verankert sind, aufgelöst, und wenn uns Autonomie und Selbstbestimmung bisher schon sehr wichtig waren, ist das nochmals gesteigert. Wir vereinbaren mit jedem Bewohner beziehungsweise den Angehörigen den individuellen Leistungsbedarf. Das heißt, wir haben die Sicherheit und Vorteile einer stationären Einrichtung in Sachen Bau, Barrierefreiheit, Qualitätssicherung, 24 Stunden Fachpersonal und so weiter und die Flexibilität in den Leistungen wie im ambulanten Setting zuhause, inklusive der Tatsache, dass Angehörige Leistungen erbringen können und dafür aus der Pflegeversicherung Geld erhalten.

Was meinen sie mit dem Begriff "stambulant"?

Naja – dies ist die konsequente Wortschöpfung aus dem, was wir tun. Aus stationär und ambulant wurde "stambulant" als neuer Begriff – symbolisierend für die Verknüpfung beider Elemente.

Wie ist das strukturiert?

Relativ einfach. Wir haben eine "stationäre" Stammmannschaft für die Grundleistung für alle und einen ambulanten Dienst für die frei wählbaren Wahlleistungen, wobei jeder andere ambulante Dienst auch beauftragt werden kann. Die Bewohner wohnen in Wohngemeinschaften, wo jeder sein Zimmer hat, und in jeder Wohngemeinschaft für 14 Bewohner gibt es Küche, Essbereich, Wohnzimmer mit Kaminofen und es wird in jeder Wohnung der Alltag mit den Bewohnern gestaltet. Es wird alles gemeinsam gemacht und Angehörige können sich einbringen und Leistungen selber erbringen.

Welche Vorteile hat das für die Pflegebedürftigen?

Völlige Transparenz, individuelle Leistungserbringung, Autonomie und wirkliche Selbstbestimmung – mehr als in der eigenen Häuslichkeit. Darüber hinaus wird es für den Pflegebedürftigen günstiger. Gegenüber dem Eigenanteil in einem Heim sind die Kosten für den Bewohner pro Monat rund 700 bis 800 Euro geringer. Hinzu kommen Leistungen der Krankenversicherung und Pflegeversicherung je nach Pflegegrad für weitere Wahlleistungen. Also mehr Freiheit, mehr Gestaltung und geringere Kosten.

Und was bringt es den Angehörigen?

Angehörige können wesentlich mehr mitgestalten und erhalten auch ein Pflegegeld, wenn sie Leistungen übernehmen. Es gibt den Angehörigen auch das Bewusstsein und Erleben, den Alltag ihres Angehörigen oder Vertrauten mitzugestalten, mit dabei zu sein, aber nur in dem Maße, wie es jeder kann und will. Viele Angehörige erklären, dass sie ein gutes Gefühl haben und vor allem weiterhin berufstätig bleiben, oder sich um die eigene Familie kümmern und ihre eigenen Bedürfnisse mit ihrer Sorge für Angehörige gut verbinden können. Diese Effekte sind bedeutsam.

Welche Widerstände galt es von Seiten der Kostenträger und Aufsichtsbehörden zu überwinden?

Unsäglich viele – bis heute. Es ist in Deutschland in der Pflege sehr schwer geworden, innovativ zu sein. Ob Experten, Wissenschaft oder Politik, alle wissen, was der alte Mensch braucht und was gute Pflege angeblich ausmacht – aber wer fragt die Betroffenen? Dazu kommen immer höhere Bedarfszahlen und das Problem, gutes Fachpersonal zu finden. Und finanzierbar muss es auch sein. Anstatt nach guten Lösungen zu schauen, wird kritisiert, dramatisiert und alles fließt in mehr Kontrolle, mehr Normierungen und alle strengen sich an, mögliche Risiken auszuschließen. Sie vergessen dabei, dass Risiken immer im Leben verankert bleiben und mit Vorschriften nicht verhindert werden kann, dass Leben auch endet. Mehr Vertrauen, mehr Verantwortung denen gegenüber, die sich täglich mit den Herausforderungen in der Praxis auseinandersetzen, wäre so gut.

Wieso konnten Sie sich dann doch durchsetzen?

Wir hatten das Glück, im Sozialministerium in Stuttgart und bei den Kassen auf offene Ohren zu stoßen und haben dieses Modell gemeinsam entwickelt, nicht gegeneinander. Insofern ist es in Baden-Württemberg nun schon seit zwei Jahren in Betrieb und alle bemühen sich, eine rechtliche Lösung zu finden, dass solche Angebote zur Regelleistung werden. Allerdings sind dringend und schon längst Maßnahmen der Landesgesetzgeber und Korrekturen im Sozialgesetzbuch auf Bundesebene erforderlich.

Wann läuft das Modellprojekt aus?

Die Modellphase war Ende Januar beendet. Seither leben wir im Status der Duldung. Wir haben mit der AOK, die federführend an der Konzeptentwicklung beteiligt ist, und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) einen Versorgungsvertrag geschlossen, der den weiteren Betrieb für die "stambulante" Konzeption ermöglicht. Auch seitens des Sozialministeriums wurde weitere Unterstützung zugesagt. Nun hoffen wir noch, dass auch die anderen Kassen dem Vertrag beitreten. Die Konzeption findet breiten Zuspruch. Umso unverständlicher ist, weshalb man sich bisher dem rechtssicheren Vertrag verwehrt. Im Oktober wird in Berlin vom Spitzenverband der Geseztlichen Krankenkassen der Abschlussbericht aller Modellprojekte vorgestellt. Danach werden wir Klarheit bekommen.

Wäre so etwas nicht auch in ihrer Heimatregion, im Zollernalbkreis denkbar?

Na klar. Ich würde das lieber gestern als morgen in Burladingen im Haus Fehlatal und im Haus Raichberg in Onstmettingen umsetzen. Ich hoffe, dass uns die Behörden hierbei unterstützen. Wir wissen, dass nirgendwo mehr Qualität für alle Beteiligten entsteht, als durch diese offenen Bedingungen und dieses neue Konzept. Von den Kommunen wissen wir bereits, dass sie wollen. Jetzt hoffen wir auch auf die Fachbehörden und Kassen. Wir müssen wieder das ins Visier nehmen, was uns in so vielen Fällen geholfen hat: Mut zur Veränderung!   Die Fragen stellte Erika Rapthel-Kieser.