"Die Verhältnisse in Burladingen sind schwer erträglich und bieten dem Landrat eine Eingriffsverpflichtung": Professor Hans-Georg Wehling. Foto: Baumann

Politikwissenschaftler Wehling über Bürgermeister, ihre Bezüge und den "Trottelparagrafen".

Burladingen - Was sagt der prominenteste Politikwissenschaftler im Südwesten über den schlagzeilenträchtigen Fall des Burladinger Bürgermeisters Harry Ebert und seines Gemeinderats? Der Schwarzwälder Bote fragte den "Papst der Gemeindeordnung", den 79-jährigen emeritierten Professor der Uni Tübingen, Hans-Georg Wehling. Der hat sich in ungezählten Aufsätzen und Publikationen zu den Themen Bürgermeister, ihre Wahl, die Aufgaben des Gemeinderats und Bürgerbeteiligung geäußert.

Herr Professor Wehling, Sie gelten als absoluter Kenner der baden-württembergischen Gemeindeordnung und der kommunalpolitischen Szene im Südwesten. Sticht der Zollernalbkreis mit seinen Problem-Bürgermeistern da etwas heraus?

Ja, schon. Wir haben in Baden-Württemberg landesweit gute, leistungsfähige Bürgermeister, da ist unser Land gut aufgestellt. Leider sticht der Zollernalbkreis negativ heraus. Da gab es Haigerloch, gleich zweimal, Bisingen und jetzt Burladingen. Die Kommunalaufsicht unter Landrat Pauli ist da nicht zu beneiden.

Der Gemeinderat der Stadt Burladingen und sein Bürgermeister Harry Ebert scheinen heillos zerstritten. Was bedeutet es für eine Stadt, wenn Bürgermeister und Gemeinderat möglicherweise auf Jahre hinaus keine Basis für konstruktive Zusammenarbeit finden?

Der Erfolg von Kommunalpolitik hängt ab von einer engagierten Bürgerschaft und einer guten Zusammenarbeit von Bürgermeister und Gemeinderat. Der Gemeindeordnung zufolge ist der Gemeinderat sogar das "Hauptorgan", das der Bürgermeister dringend benötigt, um erfolgreich sein zu können. Ist diese vertrauensvolle Zusammenarbeit gestört, gerät die Entwicklung der Gemeinde ins Stocken, wie sich in Burladingen zeigen lässt. Man denke nur an das geplante Ärztehaus und die Bewältigung der Verkehrsprobleme im Zentralort.

Es gab aus dem Burladinger Gemeinderat und von Seiten einiger Bürger Rücktrittsforderungen an den Burladinger Stadtchef. Warum sind die Bürgermeister in Baden-Württemberg generell so schwer aus dem Amt zu hebeln?

Einen einmal gewählten Bürgermeister bekommt man während seiner Amtszeit in Baden-Württemberg nicht mehr los, es sei denn, er wird nicht wiedergewählt, wird dauerhaft krank oder stirbt. Der Gesetzgeber war der Meinung: Wenn die Wählerschaft sich "verwählt" hat, muss sie die Folgen bis zur nächsten Wahl tragen. Zwar enthält die Gemeindeordnung den Paragrafen 128 über die "vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters". Doch dieser Paragraf ist zahnlos, so gefasst, dass er kaum anwendbar ist. Da muss man schon kriminell oder sehr ungeschickt sein. Nicht zufällig heißt dieser Paragraf in Fachkreisen "Trottelparagraf". Wer freiwillig geht und amtsenthoben wird, bekommt im Übrigen sein Gehalt weiter, als ob er noch im Amt wäre, mit Ausnahme der Aufwandsentschädigung.

Harry Ebert ist bei der jüngsten Bürgermeisterwahl vor zwei Jahren mit 83 Prozent der Stimmen gewählt worden, aber die Wahlbeteiligung lag gerade einmal bei 28,2 Prozent. Sie haben in einem Aufsatz einmal eine Beteiligung unter 30 Prozent als kritische Grenze bezeichnet. Wieso?

Die "kritische Grenze" lässt sich zwar gut begründen, ist ein Stück weit willkürlich, es könnten auch 25 oder 35 Prozent sein.

Haben Sie deswegen einmal vorgeschlagen, in die baden-württembergische Gemeindeordnung einen Paragrafen einzubauen, der es ermöglicht, dass Bürgermeister vom Volk auch wieder abgewählt werden können?

Eine Abwahlmöglichkeit sollte der Landesgesetzgeber meiner Meinung nach schaffen, allerdings in mehreren Stufen, um Missbrauch zu verhindern. Das könnte so aussehen: Der Gemeinderat beschließt mit qualifizierter Mehrheit den Einstieg in ein Abwahlverfahren. Kommt die erforderliche Mehrheit zustande, muss der Gemeinderat nach einer Abkühlungsphase noch einmal eine solche Maßnahme beschließen. Danach entscheidet die Bürgerschaft.

Harry Ebert empfängt keine Gemeinderäte zu Gesprächen mehr, beschimpft seine Kritiker. Er nimmt viele Termine nicht mehr wahr und gibt offen zu, mit seinen Gemeinderäten außerhalb der Sitzungen nicht mehr kommunizieren zu wollen. Welche Mittel hat eine Kommunalaufsicht, wenn der Bürgermeister so provokativ agiert, die Kommunikation regelrecht verweigert?

Beamte – und dazu gehören ja auch Bürgermeister – sind zur Zurückhaltung verpflichtet, sowohl was ihre politische Einstellung betrifft als auch was ihre menschlichen und politischen Umgangsformen gegenüber Bürgern und den Gemeinderäten angeht. Hier sind die Verhältnisse in Burladingen schwer erträglich und bieten dem Landrat eine Eingriffsverpflichtung an.

Sehen Sie angesichts der Situation noch eine Möglichkeit für Versöhnung, und wenn ja, von wem könnte da der Anstoß ausgehen?

Gefragt ist die Kommunalaufsicht, insbesondere der Landrat, das geschieht ja auch verantwortungsvoll. Auch der Regierungspräsident könnte sich hier einmischen. Nicht zuletzt weist Burladingen in Gestalt von Wolfgang Grupp einen angesehenen, erfolgreichen, mächtigen, politisch denkenden und verantwortungsvollen Unternehmer auf, dessen Wort etwas gilt. Seine Vermittlungstätigkeit wäre jetzt gefragt.