Schafschur: Keine fünf Minuten braucht Hermann Voigt, um einem Tier die Winterwolle abzunehmen

Die Schafe blöken, das Schermesser surrt und Hermann Voigt lässt sich trotz zappelnder Vierbeiner und klickender Kamera nicht aus der Ruhe bringen. Der 76-Jährige frisierte jetzt bei Josef Mößmer und Reinhold Dickhoff in Salmendingen die vierbeinigen Landschaftsgärtner.

Burladingen-Salmendingen. Nicht mal fünf Stunden haben der Routinier und sein 75-jähriger Helfer Willi Gramlich für die Schur der 70 Tiere gebraucht. Weniger als fünf Minuten pro Tier. Nur wenn eines zappelt und sich wehrt, dann kann es schon mal länger dauern. Es ist kein Wunder, dass bei Voigt jeder Handgriff sitzt. Denn seit 60 Jahren befreit er in jedem Frühjahr die Schafe von ihrer dicken, fettigen Winterwolle. Damals war er 16 Jahre alt, die üblichen Scheren wurden später eingemottet und durch elektrisch betriebene Schafschermaschinen ersetzt. Voigt ist bis heute im März, April und Mai mit seinem Helfer Willi Gramlich überall auf den Höfen in der Region unterwegs.

Beim Hammellauf des Musikvereins ein Schaf gewonnen

Seit vielen Jahren kommt er auch hoch nach Salmendingen. Auf der oberen Alb wird den Tieren die Wolle etwas später abgenommen, als unten im Tal. Bei den Salmendinger Schäfern wollte Hermann Voigt vor einer Woche schon scheren, dann platzte der Termin. Reinhold Dickoff und Josef Mößmer waren froh, denn an diesem Tag schneite es noch mal dicke, weiße Flocken und die Nächte danach waren richtig kalt. "Die hätten sich den Arsch abgefroren", sagt Dickhoff laut lachend über seine Tiere. "Aber jetzt ist das Wetter perfekt." Tatsächlich sorgt die Frühlingssonne mittlerweile auch in den Höhenlagen für so angenehme Temperaturen, dass man den Landschaftsgärtnern auf vier Beinen ruhig ihren Wintermantel abnehmen kann. Vor allem, wenn sie nachts in die Schuppen und sich dort aneinander kuscheln dürfen. Die Wolle, die da in großen Säcken zusammengedrückt und später abtransportiert wird, hinterlässt einen farblosen, fettigen Film auf den Händen. Das pure Lanolin, warm und wasserundurchlässig.

Kein Zweifel, Merinos sind für das Leben auf der rauen Alb perfekt gerüstet. Und wie Mößmer und Dickhoff zu ihrer Merino-Herde kamen, ist auch eine Geschichte, wie sie nur das pralle Vereinsleben auf dem Dorfe schreibt. Erst gewann der eine, dann der andere beim Hammellauf des Musikvereins beim Kirbetag im Oktober je ein Schaf. Die Tierchen brauchten Gesellschaft, also wurde im Gartenhäuschen bald eine kleine Schafsfamilie gehalten, die wurde größer, und irgendwann taten sich die beiden Salmendinger Dickhoff und Mößmer zusammen, bauten ihre Schuppen, teilen jetzt die Arbeit und die Sorge um ihre Vierbeiner. Denn manchmal, so Dickhoff, könne es auch passieren, dass ein Mutterschaf keine Milch hat, die Zitzen nichts hergeben oder dass es stirbt. Dann gilt es, den Nachwuchs von Hand durchzubringen. Und die beiden Ersatzväter haben da offensichtlich ein gutes Händchen.

Glücklich präsentiert Dickhoff das vier Wochen alte Lämmchen Lila, das sich mit großen Augen vertrauensvoll in seine Arme kuschelt. Die Schäfer Dickhoff und Mößmer haben der Kleinen abwechselnd das Fläschchen gegeben und jetzt ist sie aus dem Gröbsten raus. Um die 15 Jahre alt kann Lila jetzt werden, wird jährlich einmal geschoren und um rund zwei bis zweieinhalb Kilo Wolle erleichtert. An der Wolle sei allerdings fast nichts verdient, erzählen Mößmer und Dickhoff. Die Konkurrenz aus Ländern wie Neuseeland, wo es Herden mit vielen tausend Schafen gibt, ist übermächtig. Interessant ist für die beiden Schäfer, dass Ämter und Behörden längst wissen, dass ohne Schafe die Heidelandschaft auf der Schwäbischen Alb sich nicht offen halten lassen würde. Also werden die Merinos und ihre Besitzer als Landschaftsgärtner bezahlt.

Das Fleisch der jungen, männlichen Lämmer, die die beiden Salmendinger Schäfer nicht behalten wollen, vertreiben sie als Lamm aus der Region bei einer auch in Burladingen ansässigen Supermarktkette. Dort wird Lila aber nicht über die Theke gehen. Vor ihr steht ein langes Arbeitsleben als Heidepflegerin.