"Lasst euch nicht einlullen in dem Gefühl, es geht eh alles so weiter wie bisher!", sagt Peer Steinbrück. Foto: dpa

SPD-Kanzlerkandidat über Euro-Zone, Pflegesystem, Pkw-Maut und doppelte Staatsbürgerschaft.

Oberndorf - So mancher Wähler kann sich Peer Steinbrück in einer großen Koalition gut vorstellen. Der SPD-Kanzlerkandidat schließt das allerdings aus. Unserer Zeitung sagt Steinbrück: "Ich möchte gestalten, statt wie Frau Merkel nur zu verwalten und abzuwarten."

Wären Sie bereit, durch unpopuläre Maßnahmen wie Ausgabenminderung eine Schuldentilgung sofort in Angriff zu nehmen, damit eine künftige Regierung handlungsfähiger und nicht zur reinen Schuldenverwalterin wird? (fragt Josef Dieringer aus Oberndorf)

Ja, wir müssen endlich das ständig neue Schuldenmachen stoppen – insgesamt 100 Milliarden Euro allein in den letzten vier Jahren. Dazu werden wir einen flächendeckenden Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro einführen. Menschen, die voll arbeiten, sollen abends nicht noch Anträge auf Hilfe vom Jobcenter ausfüllen müssen, die alle Steuerzahler jedes Jahr mit Milliardenbeträgen bezahlen müssen. Wir werden Subventionen streichen, die Schwarz-Gelb eingeführt hat: Wir werden das unsinnige Betreuungsgeld wieder abschaffen und das Geld in den Kita-Ausbau stecken. Wir werden das Privileg für Hoteliers bei der Mehrwertsteuer zurücknehmen. Und umweltschädliche Subventionen werden wir abbauen, zum Beispiel die Begünstigung von Flugbenzin.

Ist die Euro-Währung mittel- und langfristig nur zu retten, wenn in der EU eine einheitliche Wirtschaftspolitik durchgeführt wird? (fragt Karl Keicher aus Oberndorf-Aistaig)

Unsere gemeinsame Währung braucht einen Unterbau – eine stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Euro-Mitglieder. Wenn Frau Merkel sagt, sie wolle keine Haftungsunion in Europa, dann ist sie nicht ehrlich: Da sind wir längst. Deswegen setzt sich die SPD für eine gemeinsame Wirtschaftsregierung in der Euro-Zone ein. Das heißt natürlich nicht, dass von Nikosia bis Dublin nur eine Wirtschaftspolitik herrschen darf. Aber wir müssen weg vom Gegeneinander zwischen einzelnen Staaten. Ein Beispiel: Irland hat jahrelang mit niedrigen Unternehmenssteuern Firmen angeworben. Dann kam die irische Bankenkrise, und sie brauchten Unterstützung von uns. Ich will eine einheitlichere Besteuerung von Unternehmen in Europa, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Wer soll neue Hilfsprogramme für die südlichen Euro-Staaten bezahlen? Und welche Vorteile hätte eine europäische Bankenunion? (fragt Richard Huber aus Loßburg-Wälde)

  Zunächst müssen wir bestehende Beschlüsse umsetzen. Frau Merkel hat vor mehr als zwölf Monaten mit großem Tam-Tam einem Wachstumspakt zugestimmt. Passiert ist danach so gut wie nichts. Doch einige Euro-Länder brauchen weitere Impulse, um auf die Beine zu kommen – eine Art Marshallplan. Dafür muss endlich die Finanztransaktionssteuer her, die 2012 versprochen wurde. Aber hier bremst die Bundesregierung, obwohl wir unsere Zustimmung damals an die Einführung einer solchen Steuer gebunden hatten, damit endlich auch die Verursacher der Krise für die Kosten mit aufkommen. Es ist in unserem Interesse, dass es unseren Nachbarn gut geht. Denn ein großer Anteil der deutschen Exporte geht in die EU. Was die Bankenunion angeht: Die teilweise laxe Auslegung von Regeln durch nationale Bankenaufsichten war einer der Gründe für die Finanzkrisen der letzten Jahre. Ich habe ein Ziel: Ich will, dass im Fall von Bankpleiten endlich wieder die Aktionäre und Gläubiger der Bank haften und nicht die Steuerzahler. Gegenwärtig wird an einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht und einem europäischen Rahmen für die Abwicklung oder Umstrukturierung maroder Banken gearbeitet. Hier ist auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Frau Merkel und mir: Sie hat zugestimmt, dass der Euro-Rettungsschirm in Zukunft direkt Geld an marode Banken in Europa geben kann – also auch deutsches Steuerzahlergeld an Banken im Ausland. Das wird es mit mir nicht geben.

Kann ich mich darauf verlassen, dass Rot-Rot-Grün absolut ausgeschlossen ist? (fragt Monika Bugala aus Vöhringen)

Ja, absolut.

Warum sagen Sie so klar im Voraus, dass Sie mit Angela Merkel (CDU) nicht zusammen eine schwarz-rote Regierung bilden möchten? Viele hätten Sie gerne als Vizekanzler. (fragt Roland Edel aus Rottweil)

Viele beklagen ja immer, die Alternativen seien vor der Wahl nicht klar. Sie sind nicht nur konzeptionell, sondern auch personell klar: Ich stehe für einen Aufbruch aus dem schwarz-gelben Stillstand. Ich will ein Deutschland, das wirtschaftlich stark ist, weil es gerecht zugeht. Diese Politik kann am besten eine rot-grüne Regierung durchsetzen, und deswegen arbeite ich darauf hin. Ich möchte gestalten, statt wie Frau Merkel nur zu verwalten und abzuwarten. Wenn Sie das auch wollen, dann müssen Sie SPD wählen.

Müssten sich die Parteien mehr um die Nichtwähler kümmern? (fragt Karl-Heinz Tetzel aus Calw)

Eindeutig ja. Demokratie lebt vom Mitmachen. Meine Partei hat in den letzten Jahren viel gemacht, um sich zu öffnen: Bürger konnten ihre Anregungen für unser Regierungsprogramm einschicken und mit uns diskutieren. Anschließend haben wir eine Bürgerabstimmung veranstaltet, aus der wir die Punkte für die ersten 100 Tage einer SPD-Regierung abgeleitet haben. Viele Sozialdemokraten machen dieser Tage Hausbesuche. Wir haben so bereits vier Millionen Menschen erreicht. Ich kann den Bürgern nur sagen: Schaut euch genau an, welche Konzepte die Parteien haben. Lasst euch nicht einlullen in dem Gefühl, es geht eh alles so weiter wie bisher! Es geht am Sonntag um zwei unterschiedliche Politik-Modelle.

Welche Vorstellungen sind in Ihrer Partei entwickelt worden, damit Menschen mit Handicap abseits vom ersten Arbeitsmarkt ihre Talente für die Gemeinschaft einbringen können und daraus einen möglichst großen Teil ihres Auskommens selbst erzielen können? (fragt Uwe Loschen aus Rottweil)

Das, was Sie beschreiben, ist ein wichtiges Ziel der SPD. Wir wollen, dass alle Menschen nach ihrem Können und ihrer Leistungsfähigkeit berufstätig sein können. Wir wollen die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen stärken. Wir werden Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitsagenturen stärker in die Pflicht nehmen, damit Menschen mit Handicap eine gute Beschäftigung finden. Wir werden dafür auch den Weg fortsetzen, die Durchlässigkeit zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Allgemein gesagt: Wir werden die schwarz-gelben Kürzungen bei der Arbeitsförderung zurücknehmen – denn die trafen auch Menschen mit Behinderungen.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den Medien und der Politik und wer hat Ihrer Meinung nach mehr Macht? (fragt Niklas Feil aus Bad Bellingen)

Darüber zerbrechen sich kluge Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten den Kopf. Vielleicht überrascht Sie meine Antwort: Am Ende haben Sie die Macht. Weil Sie mit Ihrer Stimme entscheiden, welche Richtung die Politik nimmt. Weil Sie sich in Vereinen engagieren können. Weil Sie Ihrer oder Ihrem Abgeordneten per Brief oder E-Mail sagen können, was Sie denken. Und: Sie entscheiden, welche Zeitung Sie lesen, welche Sendung Sie sehen und ob Sie dem Ganzen Ihren Glauben schenken wollen. Wenn Sie am 22. wählen, haben Sie die Macht.

Warum lehnen Sie die Pkw-Maut ab? Man könnte sie für Inländer von der Kfz-Steuer abziehen. (fragt Dieter Krapohl aus Triberg)

Weil jede Ungleichbehandlung von EU-Ausländern rechtlich verboten ist. Daher geht ein Abzug der Maut von der Kfz-Steuer nicht. Rechtlich möglich wäre allenfalls der Wegfall der Kfz-Steuer und eine einheitliche Maut für alle – nach allen Rechnungen sind das aber mindestens 163 Euro pro Jahr. Dadurch müssten dann Besitzer von Klein- oder Mittelklassewagens deutlich mehr bezahlen, teils das Doppelte. Die Besitzer großer Autos würden weniger zahlen. Das verschweigen Frau Merkel und Herr Seehofer wohlweislich. Wenn Sie das nicht wollen, müssen Sie Ihr Kreuz bei der SPD machen.

Warum bezahlt bei häuslicher Pflege die Pflegeversicherung nicht den gleichen Betrag an den Pflegenden, wie wenn in einem Pflegeheim gepflegt wird? (fragt Dieter Suchy aus Dornhan)

Ich weiß aus meinen vielen Klartextveranstaltungen, dass sich sehr viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei der Pflege alleingelassen fühlen. Mir ist sehr wichtig, dass sich das ändert. Ich möchte ein Pflegesystem, das den Menschen ermöglicht, solange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben. Dazu müssen wir die Unterstützung der häuslichen Pflege verbessern. Deshalb werden wir 125 000 neue Arbeitsplätze in der ambulanten und der stationären Pflege schaffen, berufliche Auszeiten für Angehörige ermöglichen und bessere Leistungen für Demenzkranke einführen. Schwarz- Gelb hatte vier Jahre Zeit für eine Reform – die Zeit ist nicht genutzt worden. Wir werden sie nutzen.

Was würden Sie als Bundeskanzler tun, um Mitbürgern mit ausländischer Herkunft die doppelte Staatsbürgerschaft zu ermöglichen? (fragt Dorothea Hertenstein aus Lahr)

Ich halte es für unerträglich, dass in Deutschland geborene junge Menschen sich mit spätestens 22, 23 Jahren entweder für ihr Geburtsland oder für das Land ihrer Eltern und Großeltern entscheiden müssen. Warum tun wir ihnen das an? Mit mir als Bundeskanzler wird die Bundesregierung das ändern und die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Es wird möglich sein, dass junge Menschen, die in Deutschland geboren sind, Deutsche bleiben – auch wenn sie einen zweiten Pass behalten möchten.

Warum wird das Kindergeld nicht an Einkommensobergrenzen gekoppelt? (fragt Horst Wenzel aus Bad Teinach)

Das ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Möglich ist aber, das Kindergeld für Wenigverdiener zu erhöhen und damit endlich das Versprechen einzulösen, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert ist. Dazu sollen Familien mit wenig Geld eine gezielte Förderung bekommen, indem wir Kindergeld und Kinderzuschlag zusammenfassen, das Verfahren vereinfachen und mehr Menschen den Zugang ermöglichen. Damit holen wir viele Familien aus Hartz IV – unter anderem fast 200 000 Alleinerziehende.

Ich habe meine Arbeit als Friseur verloren und erhalte jetzt Hartz IV. Nun wollte ich Sie einmal fragen: Wer schneidet Ihnen die Haare? (fragt Jörg Jokisch aus Offenburg-Bohlsbach)

Ich habe keinen Friseur, zu dem ich immer gehe. Es hängt davon ab, wo ich gerade Zeit habe. Ich hoffe, dass Sie bald wieder eine Arbeit finden, viel Erfolg!