Fadi Saad (Vierter von links) hat einen guten Draht zu den Jugendlichen, weil er selbst mal in ihrer Lage war. Foto: BBKRZ Foto: Schwarzwälder-Bote

Auf Augenhöhe ausgetauscht: Quartiersmanager Fadi Saad aus Berlin-Neukölln an Herrenberger Schule

Von Carolina Torres Herrenberg. Vom Brennpunkt Neukölln nach Herrenberg: Sozialarbeiter Fadi Saad sprach mit Schülern Klartext. "Haydi Jungs – Los Jungs" begrüßt, Fadi Saad die Schüler der Hilde-Domin- Schule in Herrenberg am Freitagmorgen. Er führt die Hand zum Kopf und nimmt seine imaginäre Baseball-Cap ab: ein Zeichen an die Schüler, es ihm gleich zu tun.Nach einigen irritierten Blicken und Kommentaren, folgen die Jugendlichen seiner Aufforderung und nehmen die Mützen ab – eine Geste des Respekts.

Der Quartiermanager aus Berlin-Neukölln – einem der heißesten Brennpunktpflaster der Hauptstadt – lehnt am Pult, die Schüler sitzen hufeisenförmig vor ihm. Quartiermanager sei eine Mischung aus Sozialarbeiter, Stadtplaner und Streetworker, erklärt Fadi seinen Beruf in einem seiner Bücher. Er läuft ihm Klassenzimmer hin und her und tritt näher an die Schüler heran, wenn er sie direkt anspricht, was oft vorkommt. "Ruf, Ehre, Stolz – diese Themen begleiten uns alltäglich", beginnt Fadi. "Legst du Wert auf guten Ruf?", fragt er einen der Schüler in der vordersten Reihe. "Klar", sagt der. Was bedeutet guter Ruf, will Fadi wissen. "Respekt", sind sich die Schüler einig. "Respekt – oder Angst?" fragt Fadi.

Fadi will den Schülern einen Spiegel vorhalten. Er will ihnen klar machen, "was sie erreichen wollen und was sie aber tatsächlich erreichen". Es geht um Religion, Gewalt, den respektvollen Umgang mit anderen. Kulturelle Unterschiede, Vorurteile und Unwissenheit münden oft in Konflikte.

Seit zwei Jahren ist Fadi mit einer Deutschen verheiratet. Was sagt der Koran: Darf ein Muslim eine Christin heiraten? "Natürlich nicht", sagt ein muslimischer Schüler bestimmt. Fadi weiß es besser: Eine Frau, die Anhängerin einer arabischen Religion ist – also des Christentums, Judentums und Islams – darf einen Muslim laut Koran heiraten.

Als Fadi seiner Mutter von der Hochzeit erzählte, warnte sie ihn: Eine Deutsche verlässt Dich, sobald sie einen Anderen hat; sie kann das Haus nicht sauber halten und nicht kochen. Seine heutige Schwiegermutter zeigte sich ähnlich besorgt: Er wird Dich zwingen ein Kopftuch zu tragen, sagte sie seiner heutigen Frau; er wird Dich verprügeln: Kulturelle Vorurteile. Fadi und seine Frau haben ihnen getrotzt: "Meine Frau trägt kein Kopftuch. Sie ist weiterhin Christin und ich bin Muslim. Bis jetzt gab’s keine Schwierigkeiten."

Fadi Saad arbeitet seit mehr als elf Jahren mit Kindern und Jugendlichen. Seinen Vortrag, der durch die Interaktion eigentlich mehr ein Miteinander ist, strukturiert er anhand seines eigenen Lebens. Dort, wo die 15- bis 19-Jährigen der BVJ-Klasse (Berufsvorbereitendes Jahr) heute sitzen, um ihren Hauptschulabschluss nachzuholen, saß er als Jugendlicher selbst. Ihre teils unbedachten Antworten und die prolligen Kommentare hätten vor langer Zeit auch von ihm stammen können.

Siebenmal stand Fadi vor Gericht wegen Körperverletzung, Beleidigung oder Raub; jedes Mal ließ der Richter ihn laufen. Beim achten Mal musste er für ein Wochenende in die Arrestzelle. "Die nächsten 23 Stunden hast du Zeit darüber nachzudenken, warum du hier gelandet bist", sagte der Wärter und schloss die Zellentür hinter ihm. Diese paar Tage haben Fadi verändert. Seitdem hat er seinen Abschluss nachgeholt, Bürokaufmann gelernt, ist heute Quartiersmanager in Berlin und hat zwei Bücher verfasst.

Weil die Schüler sich mit Fadi identifizieren können, entsteht Nähe zwischen ihnen. Er spricht mit dem gleichen Akzent wie sie, erzählt Geschichten, die manche von ihnen schon selbst erlebt haben, begegnet ihnen auf Augenhöhe. Als einer auf die Frage "Was machst du, wenn Deine Schwester einen Freund nach Hause bringt?" mit "Ich töte den!" antwortet, wird er nicht gleich gerügt oder abgestempelt. "So war ich auch mal", sagt Fadi mit leicht besorgtem Blick und einem Lächeln im Gesicht. Nach der Veranstaltung nimmt er sich den Schüler noch mal zur Brust. Unter vier Augen sprechen sie kurz miteinander. "Aufwachen!", gibt Fadi ihm abschließend mit auf den Weg.