Vielleicht das stilvollste, was man aus Trümmern des Maute-Areals machen kann: Teil der Installation von Angelika Kalchert aus Balken der Bisinger Industriebrache. Foto: Privat Foto: Schwarzwälder-Bote

Angelika Kalchert schafft aus Trümmern des Maute-Areals eine Installation

Von Volker Rath

Bisingen. Spurensuche in einer Trümmerlandschaft: Angelika Kalchert setzt dem Maute-Areal ein künstlerisches Denkmal. Die Arbeit am Projekt wühlt sie seelisch auf, nicht nur wegen der teils abenteuerlichen Materialbeschaffung. "Das Ganze ist wirklich beklemmend", findet sie.

Kunst kann Überwindung kosten. Angelika Kalchert ist dieses Risiko eingegangen. Abends wagte sie sich ganz alleine rein in die Industriebrache, mit einer Taschenlampe und einer Säge, um das Material zu besorgen: Holzbalken für eine Installation. Der Eigentümer ließ ihr ausrichten, sie solle auf sich aufpassen da drin. In den nächsten Stunden lernte sie, was er damit meinte: "Ich bin kein ängstlicher Mensch. Aber das war echt gruselig da drin", sagt Kalchert, "Trümmer und Kalbel baumeln von der Decke, es knackt und kracht da überall".

Aber es hat sich gelohnt. Die 66-Jährige hat sich genügend Holz aus dem Gerippe der einst stolzen Fabrik gesichert; und die triste Stimmung der leeren Säle aufgenommen. Die Atmosphäre im Maute-Komplex empfand sie als "bedrückend". Einige Maschinen stünden noch darin, als seien sie gestern noch in Betrieb gewesen. Drumrum liegt die Welt in Trümmern.

Genau das ist es, was sie in ihrem Projekt ausdrücken will. Der Verfall des Maute-Areals steht für sie sinnbildlich für den Niedergang der gesamten Textilindustrie, in Bisingen und in der Region. Als sie in den 1970er-Jahren aus Schorndorf auf die Zollernalb kam, als Lehrerin für Kunst und Technik an der Realschule Burladingen, klapperte in fast jeder Garage eine Strickmaschine. "Heute sind nur noch eine handvoll Betriebe einer einst florierenden Branche übrig", so Kalchert. Der stolze und scheinbar ewig währende Wirtschaftszweig mit eigenen Kraftwerken und endlos langen Nähmaschinenreihen – einfach weg, abgewandert, erst nach Süd- und Osteuropa, dann nach Asien, wo noch billiger produziert werden kann. Zurück bleiben Ruinen und ehemalige Beschäftigte, die plötzlich keine wirtschaftliche Existenz mehr hatten.

Die Bisinger Trikotwarenfabrik Heinrich Maute beschäftigte zu Spitzenzeiten mehr als 1000 Mitarbeiter. Überhaupt ging praktisch aus jeder Familie eins oder mehrere Mitglieder in die Textil- und Schuhfabriken im Ort. Kalchert, die selbst in Bisingen lebt, kennt ehemalige Näherinnen persönlich. Ihr Schicksal hat auch sie bewegt.

Mittlerweile hat Angelika Kalchert die Balken im Atelier bearbeitet. Das Rohmaterial fand sie authentisch und passend. Im Holz klaffen tiefe Risse, an manchen Stellen sind Balken ausgestemmt. Sie hat sie bearbeitet, teils mit mattroter Acrylfarbe und an einigen Stellen mit Blattgold. Gold steht für die Ewigkeit, die goldenen Zeiten der Branche, von denen nur noch kleine Flecken übrig sind. Rot gilt in der Kunst nicht nur als Farbe der Liebe, sondern steht auch für Zerstörung und Hass.

Wut treibt auch viele Bisinger um beim Blick auf den Schutthaufen, an dem Angelika Kalchert selbst täglich vorbeifährt. So passt ihr Kunstwerk vielleicht ganz gut in die Zeit, auch zu Ostern: Schmerz, Trauer und Enttäuschung, festgemacht an ein paar hölzernen Balken. Und die Hoffnung auf Auferstehung. Jedes Ende ist auch ein Anfang, heißt es.

Wie geht es eigentlich den Näherinnen von einst? "Das würde mich schon interessieren", sagt Angelika Kalchert, "ich frage sie einfach mal, wie sich ihr Leben seither weiterentwickelt hat".