Der frühere Geschäftsführer des Kurbetriebs in Bad Wurzach (Bild) hat gegen seine Verurteilung wegen Betrugs und Titelmissbrauchs Berufung eingelegt, diese aber am Dienstag vor dem Landgericht Ravensburg zurückgezogen. Foto: dpa

Der frühere Kurgeschäftsführer von Bad Wurzach bleibt wegen Betrugs vorbestraft. Das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Ravensburg zeigte, wie leicht es der 60-Jährige hatte.

Ravensburg - Schwarzer Anzug, akkurate Krawatte und eine Brille, die beim Sprechen unablässig zwischen Nase und den gestikulierenden Händen wandert, diesen Führungshabitus bewahrt sich Michael N. auch an seinem letzten Prozesstag vor dem Landgericht Ravensburg. Knapp ein Jahr – von September 2015 bis August 2016 – ist er Kurgeschäftsführer in der oberschwäbischen Bäderstadt Bad Wurzach gewesen. Bis ihn ein misstrauischer Chefarzt und dessen Kollegen stolpern ließen. Eine französische Promotionsurkunde: mit Schreibmaschine und Tipp-Ex selber gebastelt. Universitätsabschlüsse in Wirtschaftswissenschaften und Psychologie: frei erfunden. Es folgten die Entlassung, eine dreimonatige Flucht und im April eine Verurteilung beim Amtsgericht Wangen. Ein Jahr und fünf Monate Haft auf Bewährung wegen Betrugs und Titelmissbrauchs, das war das Ende dieser erlogenen Karriere.

Die Fälschungen und Falschangaben habe er gemacht, räumt N. vor dem Landgericht ein, wo er Berufung gegen das Wangener Urteil eingelegt hat. Aber seine Entscheidungen als Geschäftsführer seien ohne Tadel gewesen. Er will seine Strafe reduziert haben. Die Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Berufung beantragt, verlangt jetzt eine Haftstrafe ohne Bewährung.

Der selbstbewusste Kandidat gewann

Der Richter Axel Müller, Vorsitzender der Berufungskammer, hat am zweiten Tag dieses Prozesses schon eine Menge Zeugen durch, er lässt nur noch wenig Geduld erkennen. Er vernimmt den wieder amtierenden Geschäftsführer der Bad Wurzacher Kurbetriebe, Markus Bazan. Der Zeuge leitet sein eigenes Beratungsunternehmen, kam 2014 als Sanierer auf Zeit zum kränkelnden Moorheilbetrieb, arbeitete Michael N. ein. Rund 80 Bewerber habe es gegeben, erinnert sich der Sanierer, darunter „gute Leute, nicht aus der zweiten Linie“. Aber dann, am 13. Juli 2015, standen in der Endausscheidung nur Michael N. und ein Mitbewerber aus Sachsen vor dem Gemeinderat, der aus einem fachfremden Kommunalunternehmen stammte und gerade in Elternzeit war. Der selbstbewusste N. stach den Konkurrenten locker aus.

Wie es dazu kommen konnte, will der Richter wissen. In Bad Wurzach habe es „sehr unterschiedliche Interessenlagen“ gegeben. Der Bürgermeister hätte am liebsten einen Chef aus der Region eingestellt, der Chefarzt wollte, „dass er keinen anderen König neben sich hat“. Der Favorit sei ein dritter Bewerber gewesen, aber der habe zurückgezogen. Und die stümperhaft gefälschten Ausbildungsnachweise sind im Rathaus wohl einfach abgeheftet worden.

Spesenzettel hat es genug gegeben

Welche Verhältnisse er nach Michael N. in Bad Wurzach vorgefunden habe, fragt der Richter Bazan. Habe es beispielsweise Gespräche mit Sozialversicherungsträgern zur besseren Auslastung der Kurklinik gegeben? „Da kann ich nichts erkennen“, sagt Bazan. Pläne von einer neuen Heilabteilung Psychosomatik seien luftleer geblieben, und auch die Neubesetzung des Chefarztpostens sei nicht vorangekommen.

Dafür hatte N. 88 000 Euro Gehalt eingestrichen und einen stattlichen Stapel an Spesenzetteln angehäuft. Müller verliest ein paar Belege: N. speiste mit Büroausstattungsfirmen, weilte am Reformationstag in Magdeburg und ein andermal bei Kalbsbraten in Köln – Grund: „Akquisegespräch mit RTL“. Der Richter verlangt eine Erklärung.

N. setzt sich gerade, fängt mit sicherer Stimme an, über die Schwierigkeiten der Chefarztsuche zu referieren. Er habe sich mit vielversprechenden Ärzten zum Essen getroffen. Richter Müller senkt einen Moment den Kopf zur Tischplatte, dann faucht er los: „Wollen Sie im Ernst diese Berufung aufrechterhalten? Dann gehe ich hier in die Vollen.“ Jeden einzelnen angeblichen Gesprächspartner dieser Bewirtungszettel werde er vorladen. N. verstummt.

Mittagspause, Bedenkpause. Der Anwalt von Michael N. hat gleich im Anschluss etwas zu verkünden. Sein Mandant werde die Berufung zurückziehen. Der Ravensburger Oberstaatsanwalt Peter Vorbiller guckt erleichtert. Da der Rückzug „Geständnischarakter“ habe, werde auch die Anklage vom Berufungsantrag absehen. Die Sitzung schließt. N. bleibt vorbestraft.