Boris Palmer fährt bei seiner Berlin-Tour über den Potsdamer Platz. Foto: Soeder

Tübinger OB findet nicht alles schlecht in der Hauptstadt. Beim Verkehrskonzept unterscheiden sich die Geister.

Berlin - Die Wirklichkeit kann einem das schönste Klischee verderben. Am Mittwochmorgen kommt die Berliner S-Bahn auf die Minute pünktlich, Haltestelle Messe Süd, die Februarsonne scheint für hiesige Verhältnisse freundlich, und der Bahnsteig sieht okay aus. Federnden Schrittes steigt Boris Palmer (Grüne) die Treppe empor, grinst und zieht die Augenbrauen hoch, gerade so als sei er überrascht.

Dabei ist das, was sich hier abspielt, genau bedacht, geplant und gewollt: Der Tübinger Oberbürgermeister folgt an diesem Morgen einer Einladung von Burkhard Dregger, Fraktionschef der oppositionellen CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.

Palmer hatte in einem Interview erklärt, immer wenn er nach Berlin komme, denke er, er verlasse "den funktionierenden Teil Deutschlands". Es folgte harsche Kritik an der Hauptstadt. Grund genug, für den in Richtung Grün stets um Wirkungstreffer bemühten CDU-Mann Dregger, eine Einladung an Palmer auszusprechen, sich mal Berlin anzusehen.

Aber was heißt Berlin? Drei Orte, drei Mal eine halbe Stunde, dazwischen Busfahrt. Dregger hat sich Stationen ausgesucht, an denen er politisch deklinieren will, was seine Partei zu Regierungszeiten besser gemacht hat oder machten könnte: das Messegelände für die Wirtschaftspolitik, eine Hauptstraße für die Verkehrspolitik und einen Kreuzberger Drogenumschlagplatz für die Sicherheit.

Er empfiehlt das Modell Kopenhagen, Radwege überall, Durchfluss des Autoverkehrs reduzieren, dann steigen Leute um

So weit die Idee – nur hat er eben Palmer eingeladen. Und der macht, was er will. Er staunt zwar brav über das Gewinnunternehmen Messe, setzt eine Virtual-Reality-Brille auf, um sich von einem Eventmanager "unsere State-of-the-art-Venues" zeigen zu lassen und lernt dabei auch, dass Daimler seine Hauptversammlung immer hier veranstaltet, "weil es billig ist", wie der Manager berichtet. "Das ist für Schwaben wichtig", weiß Palmer. Dann bohrt der Grüne schon an Details: Ist das eine LED-Wand? Haben die Brandschutzbeauftragten das hier wirklich abgesegnet? Wenn ja, kann man dann deren Visitenkarte haben? Und wie steht es eigentlich mit Solarzellen auf dem Dach? Gibt es hier etwa ökologische Defizite? Wer ist der verantwortliche Politiker hierfür?

Da spricht halt, Überraschung, ein Grüner. Und so geht das fort und fort. Gerade fährt der Bus über den Kaiserdamm, vier Spuren plus Mittelparkstreifen, und Dregger hebt an, über die Geißel des Fahrverbots zu reden, da unterbricht der Gast: "Sie wollen mich wohl schocken mit dieser Straße, wie kann man nur die Stadt so mit Autoflächen zuballern?"

Dies sei eben, sagt Dregger vorsichtig, eine "traditionelle Straße", aber Palmer ist längst in die Rolle des Gastdozenten gewechselt: Er empfehle Berlin das Modell Kopenhagen, Radwege überall, Autoverkehrsdurchfluss reduzieren, dann steigen die Leute auch um, sofort damit anfangen, radikal – das ist nicht wirklich das Programm, welches die CDU in Berlin sonst unwidersprochen lässt.

Dregger wird auf seinem Sitz ein wenig kleiner, wendet ein, man solle erstmal den Nahverkehr ausbauen, der rot-rot-grüne Senat müsse ran. Dann will er lieber von seinem künftigen Elektrodienstfahrzeug erzählen, "ein deutscher Wagen, das ist eine patriotische Pflicht". Das Echo beim Gast ist eher leise.

Am Potsdamer Platz angekommen, soll eine Luftmessstation gezeigt werden, an deren Aufstellung die CDU Zweifel hegt, aber Palmer sagt, so ähnlich stehe die eine Station in Tübingen auch. Und überhaupt – im Vordergrund müsste doch eine Wende beim Verkehr stehen.

Auf der Weiterfahrt meidet man politische Themen dann zunächst ein wenig – es geht um Palmers persönliches Bild von Berlin. Schließlich kommt der Tübinger regelmäßig her. Seine Tochter, die er mit seiner Ex-Partnerin, der grünen Abgeordneten Franziska Brantner hat, lebt hier. Würde er selber hier wohnen wollen? "Ich bin eine Provinzpflanze." Würde er denn diesen bösen Satz über Berlin heute nochmal so sagen? Ja, sagt Palmer. Denn der sei zugespitzt und ironisch, und er greife etwas auf, was er von vielen Menschen höre.

Sein liebster Ort in der Stadt? "Der Minigolfplatz in der Hasenheide", sagt Palmer. Staunen beim Gegenüber. "Ich wollte einen Minigolfplatz in Tübingen, habe mich aber nicht gegen die Nachbarn durchgesetzt." So muss eben auch ein erfolgreicher Politiker mal Niederlagen einstecken. In der Berliner CDU versteht man das.

Dregger, sein Gast und die vielen Journalisten landen zum Schluss des Vormittags im Görlitzer Park in Kreuzberg – "einem der größeren Drogenumschlagplätze Europas", wie Dregger sagt. Allerdings ist gerade recht wenig Umschlag, falsche Uhrzeit, viel Polizei. Leute von einer Anwohnerinitiative drücken Palmer ihr Konzept in die Hand, das im Gegensatz zu der Null-Toleranz-Strategie steht, die Dregger lobt. Palmer ist interessiert: "Ich habe in Tübingen ein Problem mit Drogenhandel im Botanischen Garten, das ich seit Jahren nicht in den Griff bekomme." Was tun? Er suche nach Lösungen. Es sei aber nicht einfach. Klingt fast ein bisschen nach Berlin.

So stehen am Ende zwei Männer im Park, umringt von Kamerateams, dazu die Frage, was das alles gebracht hat. Man lobt den Dialog an sich, tauscht Höflichkeiten aus. Ein Journalist fragt Palmer, ob er zufrieden sei, wenn sich die mediale Aufmerksamkeit so auf ihn richte. "Wie Medien funktionieren, ist für mich rätselhaft", antwortet der Medienstar. "Ich wäre an Ihrer Stelle nicht hergekommen."