Über die Zukunft des Lebensmittelmarkts von Real im Gewerbegebiet Gehrn entscheidet nun das baden-württembergische Wirtschaftsministerium. Foto: Maier

Regierungspräsidium schaltet oberste Baurechtsbehörde ein. Stuttgarter sprechen von "komplexer Materie".

Balingen - Hat es so etwas schon einmal gegeben? Wohl eher nicht: Über die Zukunft des Lebensmittelmarkts von Real im Gewerbegebiet Gehrn – und damit über die Zukunft des Handelsunternehmens in Balingen insgesamt – entscheidet nun das baden-württembergische Wirtschaftsministerium.

Entsprechende Informationen bestätigte das Ministerium gegenüber unserer Zeitung. Nach einer ersten groben Prüfung handele es sich um eine "außergewöhnlich komplexe Materie", sagte eine Sprecherin: Die Sach- und Rechtslage müsse nun gründlich geprüft werden. Seriöserweise könne man nicht sagen, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Bumm.

Damit nimmt der "Fall Real" eine Dimension an, mit der zu Beginn des Verfahrens im Frühjahr 2017 wohl niemand gerechnet hätte. Als allererstes hatte der Ortschaftsrat von Endingen, zu dessen Gemarkung das Gewerbegebiet gehört, über die damals anvisierte Änderung des Bebauungsplans beraten, mit dem die Zusammenführung der beiden Real-Märkte auf Gehrn unter ein gemeinsames Dach möglich gemacht werden sollte. Dann beschäftigte sich der Balinger Gemeinderat damit. Es folgte die Volte, dass die Bebauungsplan-Änderung verworfen und stattdessen ein Bauantrag auf Basis geltenden Rechts eingereicht wurde.

Kernfrage: Wiegen juristische oder politische Argumente schwerer?

Dieser stand im Balinger Rathaus kurz vor der Entscheidung – bis Konkurrent Edeka mit einer Fachaufsichtsbeschwerde dazwischengrätschte und das in Bauangelegenheiten übergeordnete Regierungspräsidium Tübingen einschaltete. Dieses wiederum hat die oberste Baurechtsbehörde des Landes um Prüfung gebeten, das Wirtschaftsministerium. Und damit kommt der Fall, wenn man so will, wieder zurück in hiesige Hände: Schließlich wird das Ministerium von der Balinger CDU-Frau Nicole Hoffmeister-Kraut geleitet, die zugleich Landtagsabgeordnete des Wahlkreises ist.

Im Kern gerungen wird im Fall Real um die Frage, ob juristische oder politische Argumente schwerer wiegen. Wer nur auf die Buchstaben des Gesetzes schaut – insbesondere des gültigen Bebauungsplans für das Areal an der Langen Straße 24, dem bisherigen Standort des Real-Non-Food-Markts, oder auf den Bestandsschutz, kann nur zu dem Schluss kommen, dass der Verkauf von Lebensmitteln in dem Umfang, wie Real es gerne hätte, dort nicht zulässig ist.

Der Versuch einer "Elefantenrunde", bestehend aus Vertretern der Stadt Balingen, des RP Tübingen und Real sowie deren Rechtsbeistände, einen Kompromiss zu erarbeiten, scheiterte Ende Juni – wie zu hören ist am RP Tübingen, weil dessen Leute stur aufs Gesetz blickten. Die Stadt Balingen (von Real ganz zu schweigen) hat eine ganz andere Sichtweise. Vor Ort wird mit den Belangen der Raumordnung argumentiert: Übergeordnetes – politisches – Ziel sei die Stärkung der Innenstädte. Und mit diesem Ziel sei der Lebensmittelverkauf von Real gut vereinbar; besser jedenfalls als manch anderes, was sich ansonsten auf Gehrn ansiedeln und der Innenstadt Kunden abgraben und damit schwächen würde.

Damit liegt die Balinger Stadtverwaltung allem Anschein nach politisch auf der Linie der Wirtschaftsministerin: Nicole Hoffmeister-Kraut hat in dieser Woche im Landtag ein klares Statement abgegeben. Sie betonte dabei die Bedeutung des klassischen Einzelhandels für die Innenstädte; mit dem Projekt "Handel 2030" sollen Strategien für die künftige Aufstellung der Branche erarbeitet werden.

Stadtverwaltung befürchtet Schwächung der City-Geschäfte

Eine Schwächung der Balinger City-Geschäfte befürchtet die Stadtverwaltung insbesondere für den Fall, dass künftig nicht mehr Real, sondern ein anderes "Warenhaus" an der Langen Straße ansässig wäre. Andere Interessenten für die Immobilie stehen nach Informationen unserer Zeitung Gewehr bei Fuß für den Fall, dass es mit Real nichts wird. Spannend ist indes nicht nur, ob’s was wird, sondern auch wann: Die Real-Märkte sind seit Anfang Juni geschlossen, die Beschäftigten stehen aber weiterhin in Lohn und Brot. Wie lange kann, wie lange will Real aus finanzieller Sicht auf eine Entscheidung warten?

Manche erinnern sich angesichts des Falls an die Eyach-Arkaden, die in Balingen auf dem Strasser-Areal geplant waren. Ein Anwohner brachte dort mit (am Ende erfolglosen) Klagen den Zeitplan derart in Verzug, dass das Vorhaben platzte. Bewirkt nun möglicherweise die Intervention von Edeka beim Regierungspräsidium genau dasselbe? Mit der Konsequenz, dass Real sich aus Balingen zurückzieht – mit deutlichen Folgen für die Kunden und mit Einschränkungen des Lebensmittelangebots?

Fragen über Fragen, die sich aus einem zunächst unscheinbaren Baugesuch ergeben. Eine Antwort darauf müssen nun die Ministerialen in Stuttgart geben. Nicole Hoffmeister-Kraut kann ihren Fachleuten als Balingerin dabei sicher einige Tipps und Anregungen geben.