Gemeinsam auf Visite im Zollernalb-Klinikum: Chefarzt Erwin Biecker (links) und der syrische Assistenzarzt Hassan Alainieh. Foto: Ungureanu Foto: Schwarzwälder Bote

Integration: 37-jähriger Syrier arbeitet als Assistenzarzt in Balingen / Langer Weg bis hin zur Approbation

Der 37-jährige Syrer Hassan Alainieh arbeitet seit Anfang Dezember als Assistenzarzt in der Inneren Abteilung des Balinger Krankenhauses. Wenn er von seiner Vergangenheit und von seiner Flucht über die Balkanroute erzählt, wirkt er freundlich und aufgeschlossen.

Balingen. Seine Geschichte ist nicht alltäglich: Er kommt aus einer Stadt, die 80 Kilometer nördlich von Damaskus liegt. In Damaskus hat er Innere Medizin studiert, hat vier Jahre an der Uniklinik in Damaskus gearbeitet, danach ein Jahr in Saudi-Arabien. Während des Kriegs habe er als Notarzt gearbeitet. In einem kleinen Krankenhaus in seiner Stadt habe er als Chirurg Patienten behandelt, die nicht ins "offizielle Krankenhaus" durften. Menschen aus der Opposition.

Dann kam der Krieg in die Stadt, das kleine Krankenhaus wurde verboten, die Stadt fiel unter die Kontrolle der Regierungstruppen. Hassan Alainieh konnte nicht mehr in Syrien bleiben. Er flüchtete in den Libanon. "Die Fahrt dauerte zwei Stunden, aber sie war gefährlicher als die Überfahrt übers Mittelmeer", sagt Hassan Alainieh. Im Libanon habe er keine Zukunft gehabt, er ging in die Türkei. Dort blieb er zwei Monate. "Auch dort hatte ich beruflich keine Chancen", sagt er. Wohin also gehen? Er habe mit seinem Vater telefoniert. "Er hat gesagt, nach Deutschland. Dort seien Flüchtlinge ›welcome‹." Mit einem kleinen Boot setzte er nach Griechenland über, kam über die Balkan-Route nach Deutschland. Acht Tage war er zu Fuß, mit dem Bus oder mit dem Zug unterwegs. Das war 2015.

Über einen Bekannten in Heilbronn kam er in die Lea nach Meßstetten, begann sich um seine Approbation zu bemühen. Für ihn stand fest: Er würde nicht in seinem Zimmer auf den Bescheid warten. Er arbeitete in der Abteilung, in der Neuankömmlinge medizinisch untersucht wurden. Und daneben arbeitete er als Übersetzer. "Ich konnte Englisch und Syrisch, und kein Wort Deutsch", sagt er. Beim "Medizin-Check" habe man ihm viel geholfen. In der Mittagspause habe es dann geheißen: "Jetzt gibt’s eine halbe Stunde Deutsch-Unterricht." Auch als er nach einem Monat die Lea verlassen musste, habe man ihm geholfen, in Meßstetten zu bleiben. "Ich habe vier Monate als Übersetzer gearbeitet", erzählt er.

Dann habe er sich endlich um ein Praktikum bewerben können. Am Zollernalb-Klinikum habe er erstmals Chefarzt Erwin Biecker getroffen. "Von dem, was er zu mir sagte, habe ich nichts verstanden. Nur so viel: Ich war ›welcome‹", erinnert sich Hassan Alainieh. Parallel dazu begann er die Sprachkurse, bestand die erforderlichen Prüfungen.

Von dem Gerücht, das über ihn verbreitet worden ist, weiß er nichts: Am Zollernalb-Klinikum, hieß es, sei ein syrischer Flüchtling als Arzt beschäftigt, obwohl er eigentlich gar keine Ausbildung habe. Er habe seit Dezember seine Approbation, erklärt Klinik-Geschäftsführer Gerhard Hinger, und davor habe er das gesamte Verfahren durchlaufen, das vom Gesetz vorgegeben sei. Er habe nachweisen müssen, dass sein Studium und seine Qualifikation dem entspreche, was in Deutschland gefordert werde. Dass er die Approbation habe, um in den USA als Arzt zu arbeiten, habe ihm nicht weitergeholfen. Und er habe Deutsch lernen müssen. Nach einem Anerkennungsjahr unter der Aufsicht eines deutschen Arztes habe er schließlich die Gleichwertigkeitsprüfung abgelegt und die Approbation durch die Ärztekammer erhalten.

Schwierigkeiten? In der Tat habe es die gegeben, erzählt er. Unter anderem habe das Regierungspräsidium ein Führungszeugnis aus seinem Herkunftsland verlangt. Das habe er nicht vorweisen können. Wie auch? Er sei in der Opposition gewesen, und ein Führungszeugnis hätte er von den Regierungsbehörden anfordern müssen. Mittlerweile, sagt er, liege auch das vor. Es habe "viel Geld gekostet", es zu bekommen. Damit meint er Schmiergeld. Und einen Nachweis über die Kurse, die er bei seinem Studium belegt hat, habe man von ihm verlangt. An der Universität in Damaskus habe es geheißen, er könne sie persönlich abholen. Das sei unmöglich gewesen. Als er dann endlich die Approbation durch die Ärztekammer hatte und beim Zollernalb-Klinikum anklopfte, sei ihm gesagt worden, er könne gerne hier arbeiten. "Ich war ›welcome‹, und ich sagte vielen Dank!"

In Balingen, sagt er, fühle er sich akzeptiert. Auch bei seinen Patienten. Fremdenfeindlichkeit? Er lächelt höflich. Hier in Deutschland habe er Hilfe bekommen, sagt er. Über die Deutschen könne er nichts Schlechtes sagen. Die Bürokratie, die einen viel Zeit kostet? Das sei hier normal. Damit müsse man sich abfinden. Ein einziges Mal habe er das Gefühl gehabt, von einem Patienten nicht akzeptiert zu werden, sagt er. Das sei im Katharinenhospital in Stuttgart gewesen, während seiner Ausbildung. "Aber das war kein Deutscher."

Einmal habe ein wildfremder Mensch ihm in Meßstetten 100 Euro zustecken wollen. Er habe nicht verstanden, was das sollte, und habe das Geld nicht angenommen. Erst später habe er erfahren: Der Mann sei vor 30 Jahren selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen. "Er wusste, wie das ist, und wollte helfen."

Was ihm fehlt, ist seine Familie. Die wurde durch den Krieg in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Die Eltern sind in Saudi-Arabien, ein Bruder und eine Schwester leben noch in Syrien, seine Frau und die kleine Tochter sind im Libanon. Und was ihm noch fehlt, sind seine Freunde. Aber er hat auch hier mittlerweile viele Bekannte, habe Freunde gefunden, sogar eine "deutsche Mutter". Die Ärztin, mit der er in der Lea in Meßstetten zusammengearbeitet habe.