Und los: Ausstellungsbesucher können sich an den im Außenbereich aufgestellten Kuben mit Spraydosen austoben. Foto: Deregwoski

In der Ausstellung "Revolte!" in Frommern sollen und dürfen Gäste selbst kreativ sein.

Balingen-Frommern - An der Eingangsfassade der Frommerner Schwelhalle fährt der Münchner Künstler WON ABC mit der blauen Hebebühne auf und ab. Was hier entsteht, wird das ankündigen, was in der Industriehalle zu sehen ist: die Urban-Art-Ausstellung "Revolte!".

Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht und verteilt das laute Brummen der Hebebühne über den Parkplatz bis auf den Hinterhof. Von dort biegt ein Trio um die Ecke, das im sonst so jungen Publikum auffällt: Das Ehepaar gesetzteren Semesters aus Ebingen hatte aus der Zeitung von der Ausstellung erfahren und sich mit ihrem Freund aus VS-Schwenningen nach Frommern aufgemacht. "Wir konnten mit der Sache nichts anfangen", verrät der Ebinger und erklärt weiter, dass es schwierig sei, Grafitti zu verstehen. Gerade deshalb wollten sich die Drei vor Ort selbst ein Bild machen.

Ein Glück, dass sie auf Alex Heimkind getroffen sind. Er ist Galerist aus Hamburg, vertritt Darco FBI und den 2014 verstorbenen "weltberühmten Grafittisprayer" Oz und beeindruckte das Seniorentrio mit Fachwissen. Die jungen Leute hätten in den 1980er- und 1990er-Jahren etwas gewagt, erinnert sich der Ebinger. Und sein Schwenninger Freund meint: "Es ist so total anders, als das, was unsere Landschaftsmaler machen."

Ihr Resümee: eine interessante Ausstellung. Und auch ihre Sicht auf Grafitti habe sich geändert: Neben viel Schmiererei an öffentlichen Wänden könne Grafitti auch Kunst sein.

Damit schnitten sie einen Punkt an, der auch in der Halle aufgegriffen wird: das Spannungsfeld von Legalität und Illegalität. Gesetzlich zulässig ist das Besprayen oder Bemalen von Flächen im öffentlichen Raum, wenn der Eigentümer sein Einverständnis dazu gegeben hat. Genau das ist auch bei der Schwelhalle der Fall: WON ABC, mit bürgerlichem Namen Markus Müller, wird die Fassade mit einem neuen Look versehen. Rote Rasterkreuze helfen ihm dabei, seinen Entwurf aus dem Skizzenbuch auf die Wand zu bringen.

Wer dabei zusieht, muss den Kopf in den Nacken legen. Dabei sind Grafittis häufig auf Augenhöhe zum Passanten angebracht. "Allein die Perspektive zu wechseln, reicht nicht. Man muss seinen Standpunkt ändern, dann kann einem regelrecht schwindelig werden", spielt Heimkind auf den buchstäblichen wie sinnbildlichen Betrachtungswinkel an. "Die Schmiererei bleibt, aber man kann jetzt vielleicht entziffern", sagt er und fügt lachend hinzu: "Oder man macht sich Gedanken darüber, weshalb der Urheber genau diese Farbe gewählt hat."

Diese Entscheidung dürfen auch die Ausstellungsbesucher treffen. Während sich im Besucherbuch aufwendig gestaltete Schriftzüge finden – bunte Stifte stehen bereit –, dürfen und sollen die Besucher auch im Außenbereich zur Farbdose greifen. Auf vier Kuben mit je rund zwei Metern Kantenlänge leuchten an diesem Nachmittag abstrakte wie fotorealistische, farbenfrohe Werke.

Ein Weiteres könnte sich dazu gesellen. Noch sei aber die Wand, für die er sich interessiert, von anderen reserviert, sagt der junge Mann aus Meßstetten. Er fläzt in einem der Sitzsäcke unterm Sonnenschirm auf der Wiese und überbrückt mit dem Abzeichnen eines Superman-Comics die Wartezeit. "Zeichnen und Grafitti sind ein ganz neues Thema für mich", verrät er. In die Ausstellung sei er gekommen, "um Inspiration zu tanken", was bei den vielfältigen Anreizen "super geklappt hat".

Auch eine Gruppe Jugendlicher aus Benzingen dreht gerade ihre Runde durch die Ausstellung, die Facetten der urbanen Kunst, wie sie auf der ganzen Welt auftaucht, in der Frommerner Industriehalle zusammenfasst. Das begrüßt der Münchner Künstler Cash von der ABC-Crew. Die Macher lobt er für ihren Mut und meint: "Die Ausstellung ist gut für die Region."

  Im Rahmen der Ausstellung steht an diesem Donnerstag, 13. Juni, 19 Uhr, ein Künstlergespräch in der Frommerner Schwelhalle auf dem Programm. Roman Passarge, Kurator der "Revolte"-Schau, spricht mit Markus Müller alias WON ABC über den Entstehungsprozess seiner Werke, technische Bedingungen, Inspirationsquellen, Kreativität sowie über Widerstände, die es bei Graffiti-Projekten zu überweinden gilt.