Ziehen für die hausärztliche Versorgung im unteren Murgtal an einem Strang: die Ärzte Elena Klippstein, Hans-Jörg Schaible, Elfi und Ludwig Wäckers (vorne, von links), hinten Wolfgang Fink, Geschäftsführer der "Ärzte am Reichenbach – Medi-MVZ GmbH" (in Gründung), und rechts Bürgermeister Michael Ruf. Fotos: Michel Foto: Schwarzwälder-Bote

Hausärzteversorgung: Mediziner schließen sich für Team-Praxis in Klosterreichenbach zusammen

Baiersbronn geht in die Offensive: Nach der Regiopraxis soll für die Hausärzteversorgung der zweite große Wurf folgen: die "Ärzte am Reichenbach", ein Medizinisches Versorgungszentrum, in dem die Praxen Schaible und Wäckers fortgeführt werden.

Baiersbronn. Dreh- und Angelpunkt des Hausarztprojekts ist Hans-Jörg Schaible, der als Mitgesellschafter auch die ärztliche Leitung in der neuen Praxis, die im ersten Obergeschoss im Volksbankgebäude Klosterreichenbach entstehen soll, übernimmt. Er und weitere Ärzte werden dort als Angestellte einer eigens dafür gegründeten GmbH arbeiten.

Die Ist-Situation hatte den Ärzten und dem Bürgermeister in Baiersbronn die Sorgenfalten ins Gesicht getrieben – wegen der Zukunft, die sie erwarten ließ. Denn zwei der in Baiersbronn praktizierenden Hausärzte sind über 70, drei über 60. Ein Engpass, der sich da über kurz oder lang abzeichnete.

Kapazitätsgrenze erreicht

Mit jetzt sieben Ärzten sind die "Hausärzte am Spritzenhaus – Regiopraxis KVBW", die 2012 in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) an den Start gingen, so groß wie damals angestrebt, zugleich aber auch an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen. Erst im Frühjahr gingen die Patientenzahlen nochmal nach oben. Denn ein Teil der Patienten von Sigrid Erdmann wechselte nach der Schließung ihrer Praxis in Schönmünzach im April zu den Ärzten am Spritzenhaus.

Monatelang rangen die Ärzte in Baiersbronn um eine Lösung. Eine Zweitpraxis der Hausärzte am Spritzenhaus in Schönmünzach und eine weitere Regiopraxis wurden diskutiert und als nicht machbar wieder verworfen. Als es dann schon nach Endstation Sackgasse aussah, war der entscheidende Impuls von Bürgermeister Michael Ruf gekommen. Er hatte einen Vortrag von Wolfgang Fink, Geschäftsführer der Medi-MVZ Aalen GmbH, zum Thema Versorgungssicherheit durch Medizinische Versorgungszentren in Stuttgart besucht, der sich speziell an Kommunen richtete.

Das war im Mai. Schon im August wurde die "Ärzte am Reichenbach – Medi-MVZ GmbH" gegründet. Und das Kind hat nicht nur einen Namen, sondern auch schon ein eigenes Logo. Die Homepage ist ebenfalls bereits am Start. Der Eröffnungstermin steht auch schon fest. Am 1. April wollen die "Ärzte am Reichenbach" im ersten Obergeschoss des Volksbankgebäudes in Klosterreichenbach eröffnen – auf rund 340 Quadratmetern, gut mit der Stadtbahn zu erreichen. Was die Räume angeht, seien Investitionen von mehr als einer halben Million Euro erforderlich, so die Ärzte.

Start am 1. April

Ein wichtiger Termin ist der 8. November: An diesem Tag soll in der Sitzung des Zulassungsausschusses das MVZ für Anfang April 2018 genehmigt werden. Alle Arztsitze in Baiersbronn bleiben mit dem Start des MVZ erhalten, betont Wolfgang C. G. von Meißner, der in Baierbronn als Arzt praktiziert und einer der Gesellschafter für das neue Projekt ist. Sein Kollege Lutz Wäckers betont: Am 1. April sei definitiv Start, "und wenn wir auf dem Parkplatz arbeiten".

Die Mediverbund AG übernehme nicht nur beim Aufbau die Organisation, sondern später auch die Geschäftsführung und das Management, erklärt Fink, der auch Geschäftsführer der neu gegründeten GmbH ist. Ziel ist, dass sich die Ärzte auf die Patienten konzentrieren können, sagt von Meißner. Es soll in Klosterreichenbach nicht so gehen wie an manchen Tagen im Gesundheitszentrum Spritzenhaus, wo nachts um 1 noch das Licht brennt, weil ein Arzt mit Papierkram beschäftigt ist.

Sportlicher Ehrgeiz

Von Meißners Praxiscompagnon Michael Seitz, ebenfalls für beide Standorte Mitgesellschafter, fügt hinzu, dass sie zwar die Idee für eine zweite Regiopraxis wegen des großen Aufwands verworfen hätten, doch sportlicher Ehrgeiz sei schon im Spiel: "Es wäre schade, die Erfahrungen aus der Regiopraxis nicht zu nutzen."

Das Neue an dem Konzept beschreibt Fink so: Es steckt kein Krankenhaus, kein Investor dahinter, sondern es seien freiberufliche Ärzte vor Ort, die sich in Kooperation mit Ärzten, die im Berufsverband Medi Baden-Württemberg aktiv sind, engagieren. Dieses Kooperationsmodell sei bisher deutschlandweit einmalig.

Ziel ist, die medizinische Versorgung in Baiersbronn zu sichern und auch im unteren Murgtal eine Situation zu schaffen, die es ermöglicht, weitere Ärzte zu gewinnen. Denn die jungen Mediziner wollen anders arbeiten als die älteren Kollege. Vertretungsregelungen, Teilzeit oder Mutterschutz, Teamarbeit sind da die wichtigsten Stichworte. Seitz fasst es so zusammen: "Die älteren Kollegen können sich nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, von dem sie nicht der Chef sind. Die jüngeren können es sich gar nicht anders vorstellen, als im Team zu arbeiten."

Das Projekt "Ärzte am Reichenbach" sei nicht nur eine kurzfristige Lösung, freut sich Elfi Wäckers über das, was da entstehen soll. Mit dem Spritzenhaus und dem MVZ in Klosterreichenbach sei die hausärztliche Versorgung in der Gemeinde auf absehbare Zeit sichergestellt. Sie und ihr Mann werden ihre eigene Praxis aufgeben und als angestellte Ärzte im MVZ weiterarbeiten. Für sie eine gute Lösung. Denn, eines ist für sie klar gewesen: Mit der eigenen Praxis hätte "ich aufgehört, wenn mein Mann aufhört. Weil ich es allein nicht schaffen würde."

Für die Praxis Schaible im Baiersbronner Oberdorf selbst gab es zwar keinen unbedingten Handlungsbedarf, doch klar war, dass ohne Hans-Jörg Schaible nichts aus dem Gemeinschaftsprojekt wird. Das Vorhaben hat Schaible überzeugt: "Es ist ein ganz großartiges Projekt", sagt er. Er sei begeistert, mitmachen zu können, und über die Möglichkeit, im Team zu arbeiten. Teamarbeit, das ist es auch, was seiner Kollegin Elena Klippstein am Herzen liegt – und: mehr Zeit für die Patienten zu haben. Ganz wichtig bei seiner Entscheidung sei gewesen, dass mit dem MVZ die medizinische Versorgung in seinem Heimatort Klosterreichenbach und damit auch im unteren Murgtal sichergestellt sei, sagt Schaible und betont zugleich: "Um unsere Patienten im Oberdorf werden wir uns natürlich weiter kümmern."

Immer drangeblieben

Jede Menge Lob gibt’s von den Ärzten für Bürgermeister Michael Ruf, weil er nicht aufgegeben hat, weil er drangeblieben ist und so schließlich eine Lösung gefunden worden sei. "Ich bin zwangsläufig drangeblieben", sagt Ruf. Als Sigrid Erdmann aufgehört hatte, sei klar gewesen, dass etwas getan werden müsse. Es laufe einfach nicht mehr so wie bisher mit der Übernahme von Praxen von Ärzten, die in Ruhestand gehen. So ganz scheint’s Ruf selbst noch gar nicht glauben zu wollen. Froh und begeistert sei er, "dass wir jetzt hier sitzen", froh auch über den Enthusiasmus der Beteiligten, darüber, eine machbare Lösung zu haben. Ja, er sei happy, "absolut".

Weitere Informationen: www.aerzte-am-reichenbach.de

Ist das Projekt "Ärzte am Reichenbach" verwirklicht, gibt es in der Murgtalgemeinde zwei große Hausarzt-Standorte und die Praxis von Ernst Beilharz in Mitteltal.

 Standort Baiersbronn: Die Gemeinschaftspraxis Ernst Klumpp und Dieter Krampitz und die Gemeinschaftspraxis Michael Seitz und Wolfgang C. G. von Meißner bilden zusammen die Praxisgemeinschaft Hausärzte am Spritzenhaus in Baiersbronn. Insgesamt sind dort zurzeit sieben Ärzte beschäftigt, bei der Gründung 2012 waren es drei.

 Standort Klosterreichenbach: Gesellschafter bei den "Ärzten am Reichenbach – Medi-MVZ GmbH" sind die Ärzte Hans-Jörg Schaible, Wolfgang C. G. von Meißner und Michael Seitz sowie weitere Ärzte, die im Berufsverband Medi Baden-Württemberg aktiv sind und das MVZ in Aalen betreiben.

Von den Gesellschaftern ist Hans-Jörg Schaible der einzige, der auch am neuen Standort praktizieren wird. Schaible wird der ärztliche Leiter des MVZ in Klosterreichenbach. Außerdem werden dort seine Mutter Beate Schaible, Elena Klippstein, die schon jetzt als Ärztin in Weiterbildung in der Praxis Schaible arbeitet, sowie Elfi und Ludwig Wäckers tätig sein.

Mit zwei weiteren Ärzten laufen aktuell Gespräche. Angestrebt werden sieben Mediziner, wobei nicht alle Vollzeit arbeiten.