Eva Szepesie (links) und Liesel Binzer berichteten in Bad Teinach-Zavelstein als Zeitzeugen von der Judenverfolgung. Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder Bote

Zeitzeugen: KZ-Überlebende berichten in Bad Teinach-Zavelstein / Bedauern über langjähriges Schweigen

Liesel Binzer ist 81 Jahre alt, sie spricht mit verhaltener Stimme – doch beim Thema Antisemitismus wird sie energisch: "In neuster Zeit nimmt der Antisemitismus in Deutschland wieder zu. Vor 20 Jahren traute sich niemand. Jetzt trauen sie sich wieder."

Bad Teinach-Zavelstein. Binzer ist Jüdin, während der Nazizeit litt sie im Konzentrationslager Theresienstadt. Als Kind – als die Nazis begannen, ihre Familie zu drangsalieren – hätte sie Deutschland am liebsten verlassen. Heute sagt sie: "Wenn es noch schlimmer wird, müssen wir eben wieder auswandern."

Die Frau, die aus der Gegend um Münster stammt und heute in Frankfurt lebt, spricht bei einer Veranstaltung des Projekts "Zeugen der Zeitzeugen" in Bad Teinach-Zavelstein. Diejenigen, die den Holocaust, den Vernichtungs-Wahn der Nazis überlebt haben, werden alt – und können bald nicht mehr reden. Dem bundesweiten Projekt geht es darum, die Erinnerungen zu wahren – die Jugend soll zuhören. "Die jungen Leute werden hierbei zu Zeugen der Zeitzeugen" – so das Ziel der Initiative.

Neben Binzer sitzt Eva Szepesie. Sie ist 85 Jahre alt, sie stammt aus Budapest. Sie hat Auschwitz überlebt. Jahrelang hat auch sie über ihr Martyrium geschwiegen, sie hat ihrem Ehemann nichts erzählt, sie hat ihren Kindern nichts erzählt – doch jetzt spricht sie in aller Offenheit. "Die Erinnerung darf nicht verloren gehen", sagt sie.

Das Grauen kam in Etappen, berichtet Binzer. Zuerst musste die Familie ihre Wohnung verlassen. "Wir kamen in ein Judenhaus", erzählt sie. "Ich konnte nicht einfach auf die Straße gehen und mit den Kindern spielen." Später dann das Vernichtungslager. "Immer wieder verschwanden dort plötzlich eine Menge Kinder", berichtet sie weiter. Lediglich 150 Kinder hätten in Theresienstadt überlebt. "Ich war eines dieser Kinder."

Dabei habe sich die Familie zuvor durchaus als Deutsche gefühlt. "Mein Vater hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und dabei beide Beine verloren." Zu Hause habe man Deutsch gesprochen. "Wir waren deutsche Juden seit mehreren Jahrhunderten."

Plötzlich bezeichnen Freunde sie als "Saujüdin"

Auch bei Eva Szepesie kam das Grauen in Etappen. Bis sie sechs Jahre alt war, sei die Welt in Ordnung gewesen. Dann hätten ihre Freunde plötzlich etwas Eigenartiges zu ihr gesagt: "Was glotzt Du so blöd, Saujüdin!" Da hatte sie gewusst, dass ihre Welt nicht mehr in Ordnung war. Später dann Auschwitz – sie erinnert sich noch heute an "die SS-Männer mit ihren Hunden und Lederpeitschen". Sie habe sich nackt ausziehen müssen. "Eine Frau näherte sich mit einer Schere, sie schnitt meine Zöpfe ab und warf die Haare auf einen großen Haufen." Dabei sei sie auf ihre schönen Zöpfe so stolz gewesen, sagt sie.

Doch nach dem Ende des Grauens, nach Krieg und Holocaust, habe sie einen großen Fehler gemacht, berichtet Szepesie. Sie habe geschwiegen, selbst vor ihrem Ehemann, selbst vor ihren Kindern. "Meine Tochter wusste nicht, dass sie Jüdin ist." Sie habe das Kind in einen katholischen Kindergarten geschickt. "Heute weiß ich, dass es falsch ist zu schweigen."

Daher reise sie heute im ganzen Land herum, um von dem Grauen, das ihr und Millionen anderer angetan wurde, zu berichten: "Es darf nicht in Vergessenheit geraten."