Informationsmaterial für männliche Opfer häuslicher Gewalt liegt auf einem Schreibtisch in einer Schutzwohnung. Foto: Skolimowska

Häusliche Gewalt trifft auch das "starke Geschlecht". Knapp 80 Prozent der Betroffenen sind aber weiblich.

Bad Liebenzell - Dienstagabend, kurz nach 21 Uhr. Eine wütende Ehefrau taucht in der Wohnung ihres getrennt lebenden Ehemannes auf, geht auf ihren Ex-Partner los und wirft mit Gegenständen um sich. Der Mann ruft die Polizei zu Hilfe, die Frau wird weggeschickt, kehrt aber wenig später zurück und wütet weiter. Wieder muss die Polizei einschreiten – und kurz nach Mitternacht sogar ein drittes Mal, um die "hitzköpfige Dame", wie es in einer Pressemitteilung heißt, schließlich festzunehmen. Doch noch immer gibt die Frau keine Ruhe, leistet Widerstand, schreit und tritt die Beamten, die beide leicht verletzt werden.

Diese Szenen, die auch gut in einen Spielfilm passen würden, haben sich in dieser Woche in Bad Liebenzell (Kreis Calw) ereignet. Was für viele Menschen zunächst beinahe belustigend klingt, verliert spätestens dann die Komik, wenn sie sich vorstellen, die Rollen wären vertauscht – wenn es der Mann gewesen wäre, der die Frau terrorisiert.

Bereits im Jahr 2004 hatte eine Pilotstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ergeben, dass Gewalt gegen Männer "ein weit verbreitetes und zugleich kulturell häufig ignoriertes Phänomen" sei. Eine Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts hatte 2013 festgestellt, dass die Themen "Frauen als Gewalttäterinnen" und "Männer als Gewaltopfer" "gesellschaftlich noch weitgehend tabuisiert" seien und erst allmählich von der Forschung aufgegriffen würden.

Betroffene fürchten häufig, nicht ernst genommen zu werden

Wenn Männer, das starke Geschlecht, Opfer von Gewalt – egal ob psychischer, physischer oder sexueller Natur – werden, fürchten die Betroffenen häufig, nicht ernst genommen oder gar ausgelacht zu werden. Und doch gibt es sie, diese Gewalt. Das geht nicht zuletzt aus der jüngsten vorliegenden polizeilichen Kriminalstatistik hervor.

Rund 24.000 Männer wurden demnach allein im Jahr 2016 zu Opfern von Partnerschaftsgewalt. Eine beachtliche Zahl – die im Verhältnis zu den weiblichen Opfern dennoch gering erscheint. Laut Kriminalstatistik wurden 2016 insgesamt etwa 133.000 Betroffene gezählt. Knapp 80 Prozent davon (rund 109.000 Menschen) waren dementsprechend weiblich.

Bei Fällen der Vergewaltigung oder sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer sogar zu beinahe 100 Prozent Frauen, bei Stalking und Bedrohung fast 90 Prozent. Zahlen, die deutlich zeigen, dass Gewalt gegen Frauen das dringendere Problem darstellt.

Doch während dies offenbar in weiten Teilen von Politik und Gesellschaft erkannt wurde, scheint die Gewalt, die Männern von Frauen angetan wird, kaum im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen zu sein.

So stehen mehr als 350 Frauenhäusern bundesweit nur eine Handvoll Schutzwohnungen oder -räume für Männer gegenüber – unter anderem in Stuttgart, Dresden oder Leipzig. Lediglich fünf gibt es laut einem Bericht der Westfälischen Rundschau in ganz Deutschland.

Opfer haben Schwierigkeiten, über Erfahrungen zu sprechen

Und während auf der Homepage des baden-württembergischen Sozialministeriums der Gewalt an Frauen eine eigene Rubrik sowie ein Landesaktionsplan gewidmet sind, ist zum Thema "Gewalt an Männern" praktisch nichts zu finden. Interessant daran: Erst im Sommer des vergangenen Jahres hatte das Sozialministerium des Landes selbst auf eine kleine Anfrage der CDU erklärt, dass nicht nur Unterstützungsangebote für Betroffene nötig seien, sondern auch "ein öffentliches Bewusstsein für Ausmaß und Folgen der Gewalt gegen Frauen und Männer geschaffen werden" müsse.

Auch, weil es sich bei häuslicher Gewalt oftmals um ein Tabuthema handle und "insbesondere männliche Opfer Schwierigkeiten haben, über Gewalterfahrungen zu sprechen".

Die "widerspenstige Noch-Ehefrau" aus Bad Liebenzell, wie es die Polizei formulierte, musste die Nacht nach ihrem Wutausbruch übrigens in der Zelle des Polizeireviers Calw verbringen. Sie erwartet nun eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Sollte sie zudem ihren Ex-Partner verletzt oder etwas in der Wohnung beschädigt haben, könnte dieser sie darüber hinaus wegen Körperverletzung oder Sachbeschädigung anzeigen. Bislang, berichtet eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Karlsruhe, sei das aber noch nicht geschehen.

Häusliche Gewalt reicht von subtilen Formen der Gewaltausübung durch Verhaltensweisen, die Bedürfnisse der Geschädigten ignorieren, über Demütigungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen oder Freiheitsberaubung bis hin zu Vergewaltigungen oder gar versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Auf der Homepage des Programms Kriminalprävention der Länder und des Bundes empfiehlt die Polizei, in akuten Gewaltsituationen den Notruf 110 zu wählen. Weitere Anlaufstellen für Betroffene seien Frauenberatungsstellen, Frauenhäuser, das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (Telefon 08000/11 60 16 an 365 Tagen zu jeder Uhrzeit anonym und kostenlos), die Opferhilfeorganisation Weißer Ring (Telefon 11 60 06) oder die Telefonseelsorge (Telefon 0800/1 11 01 11 oder 0800/1 11 02 22).