"Es ist klar, dass unser Verein keine Zukunft hat", erklärte Vorsitzende Gretel Schlecht-Maier (Mitte), hier im Kreis ihrer Beisitzerinnen. Dennoch wird der Liederkranz vorerst weiter bestehen. Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder Bote

Chor: Liederkranz Beinberg diskutiert bei Hauptversammlung Auflösung / Nur noch gut ein Dutzend aktive Sänger

Draußen herrscht schweres Schneetreiben, drinnen beim Liederkranz Beinberg könnte die Stimmung düsterer nicht sein. Der Grund: Der Sängergemeinschaft droht das Ende.

Bad Liebenzell-Beinberg. Rund zwei Dutzend Mitglieder sind an diesem Samstagabend versammelt. Allesamt älteren Semesters, Altersschnitt zwischen 70 und 90. Alle machen betretene Gesichter: Die Auflösung des 70 Jahre alten Vereins steht auf der Tagesordnung. "Es geht einfach nicht mehr", sagt die Vorsitzende Gretel Schlecht-Maier. "Ich bin sehr traurig."

Jetzt heißt die Frage: Was nun?

Es gebe nur noch gut ein Dutzend aktive Sänger, alle anderen seien zu alt – Nachwuchs gebe es nicht, sagt Schlecht-Maier. "Es ist klar, dass unser Verein keine Zukunft hat." Doch am Ende kommt alles ganz anders. Nach kontroverser Debatte und einem Abstimmungskrimi steht eine Überraschung: Es gibt keine ausreichende Mehrheit für die Auflösung des Liederkranzes Beinberg. Jetzt heißt die Frage: Was nun?

"Traurig, traurig", meint auch Erich Keck aus Bad Liebenzell zur prekären Vereinslage. Noch kurz vor der Abstimmung erhält er eine ganz besondere Ehrung – für 50-jährige Mitgliedschaft. "Es waren wunderschöne Jahre", sagt er. Keck war 15, als er in den Liederkranz eintrat. Zuerst war es ein reiner Männerchor, gesungen wurde "viel Schwäbisches", sagt er. "Wir haben anspruchsvolle Chormusik gemacht." Doch jetzt seien sie einfach zu alt. "Es fehlt an jeder Stimme." Gerade mal ein halbes Dutzend einsatzfähiger Sänger könne man aufbieten. "Damit kann man einfach keinen Chor singen."

Viele meinten schon, es würde der letzte Abend in der Vereinsgeschichte werden. Zur Stärkung gibt es Ripple mit Brot, dazu Weißen und Roten. Doch Ordnung muss sein: Zuerst steht eine ganz normale Jahreshauptversammlung an. "Liebe Gäste, ich möchte alle begrüßen, Ihre Anwesenheit zeigt eine gute Verbundenheit", sagt Schlecht-Maier mit matter Stimme. Es geht sehr schwäbisch-penibel zu, die Vereinsstatuten müssen eingehalten werden: Bericht der Vorsitzenden, des Kassenwarts, Entlastung des Vorstandes – Business as usual.

Dann kommt der spannende Teil des Abends: Diskussion über eine Selbstauflösung. Es gibt Widerstand, sogar erheblichen Widerstand. Vor allem der Ortsvorsteher Ingo Großhans stemmt sich vehement gegen ein Ende. "Ein Stück Kultur geht verloren", meint ein anderer. "Es ist ein hervorragender Chor. Er soll nicht den Todesstoß erhalten."

"Um den Verein am Leben zu erhalten, muss er singfähig sein", kontert Keck. "Nicht mal auf Beerdigungen können wir mehr singen." Seit Jahrzehnten wachse kein Nachwuchs mehr nach. "Es wird Zeit, dass wir aufhören."

Was sich in Beinberg tut, ist kein Einzelfall. Reihenweise werfen Gesangsvereine in Baden-Württemberg und anderswo das Handtuch. Die Gründe sind überall gleich: Die Jungen wollen nicht mehr singen – zumindest nicht in den eher konservativ gestrickten Liederkränzen mit ihren traditionellen Volksliedern.

"Überall das gleiche Problem", meint Dieter Haag vom Hermann-Hesse-Chorverband. "Das ist auch Sache der Gesellschaft und des Bildungssystems." Musik werde an den Schulen viel zu wenig ernst genommen. "Es wird in Zukunft noch vehement zunehmen, dass sich Vereine auflösen."

Dass es knapp wird, ist allen Anwesenden klar

"Unsere Enkel wollen sich einfach nicht zum Opa setzen", erklärt Jubilar Keck die Lage. "Es gibt ja junge Chöre." Aber die singen eben auch Pop und Jazz. "Da hätten wir uns total umstellen müssen. Doch dazu waren wir nicht bereit."

Am Ende des Abends steht die Abstimmung. Dass es knapp wird, ist nach der Debatte allen Anwesenden klar. Lediglich zwölf aktive Mitglieder sind stimmberechtigt – zum Ärger der passiven Mitglieder, die dem Verein lediglich angehören aber nicht aktiv singen.

Die Spannung steigt: Ein Mitglied fordert geheime Abstimmung. Zwei Mal werden die Stimmzettel ausgezählt. Drei Viertel der Stimmen sind notwendig. Am Ende steht die Überraschung: Lediglich acht Mitglieder votieren für das Ende – das ist eine Stimme zu wenig. Der Liederkranz Beinberg besteht also weiter – vorerst.