Mathias Sauer, leitender Arzt des Paracelsus-Krankenhauses in Unterlengenhardt, hielt den Vortrag über das Leben und Wirken von Gretel Schopf. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Medizin: Kaffee-Millionen flossen in anthroposophische Einrichtungen / Unterlengenhardt als Lebensaufgabe

Es ist ein "anderes" Weltbild, mit dem die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie die Medizin betrachtet. Bad Liebenzells Ortsteil Unterlengenhardt gilt als "das" Anthroposophie-Dorf. Das verdankt der Ort zum großen Teil Gretel Schopf.

Bad Liebenzell-Unterlengenhardt. Jetzt wäre die Tochter des Kaffee-Großrösters Eduard Schopf ("Eduscho") 95 Jahre alt geworden. Letztes Jahr im Oktober verstarb sie – in ihrer Wahlheimat Unterlengenhardt, wo sie nach einer damals lebensgefährlichen Scharlach-Erkrankung fast 70 Jahre ihres Lebens verbringen sollte.

Zum Gedenken an die große Mäzenin kamen viele, sehr viele in den großen Saal der Freien Studienstätte in Unterlengenhardt. Gretel Schopf hat auch diesen Bau finanziert; wie schon zuvor die angrenzende Paracelsus-Klinik. In vielen Einrichtungen, die sich hier in Unterlengenhardt der Anthroposophie verschrieben haben, steckt das Erbe von Schopf. Weshalb es Mathias Sauer, leitendender Oberarzt der Paracelsus-Klinik, "ein tiefes Bedürfnis" war, den Festvortrag (nicht nur) über Gretel Schopf an diesem Abend zu halten. "Ich bin seit jetzt 34 Jahren hier. Und dass ich so frei arbeiten darf, wie ich mir das wünsche, verdanke ich zum größten Teil Gretel Schopf."

Wer die Anthroposophie nicht kennt, dürfte allerdings Schwierigkeiten haben, Sauer beim Entwurf seiner ungewöhnlichen Festrede zu folgen. Es ist ein sehr komplexes, ganzheitliches Weltbild, das nicht nur die anthroposophische Medizin, sondern den gesamten Lebensentwurf der Anhänger Rudolf Steiners prägt. Es einfach mit "Esoterik" abzutun, würde die unstrittigen Erfolge dieser alternativen Heilkunde nicht gerecht werden. Die ja Menschen wie eben Gretel Schopf auch durch allerschwerste Krankheiten erfolgreich hindurchführen kann. Sauers Interpretation von Gretel Schopfs Leben und Wirken in Unterlengenhardt: "Jeder Mensch hat seinen Stern", von dem eine Kraft ausgehe. Jede Kraft aber sei mit einem "Wesen" verbunden. Und: "Was Sternenhaftes ist hier über diesen ganzen Ort." Was Sauer meint: Die heutige Bedeutung Unterlengenhardts für die Anthroposophie mit seiner einzigartigen medizinisch-therapeutischen, sozialen, künstlerischen und kulturellen Prägung wäre historisch ohne solche Mäzene ("Sterne"/Wesen) und prägende Persönlichkeiten wie Gretel Schopf nicht denkbar.

Einer gewaltigen Versuchung ausgesetzt

Das "Wunder" dabei: Gretel Schopf war nach dem sehr frühen Tod ihres geliebten Vaters – sie war damals zwölf Jahre alt – einer "gewaltigen Versuchung" ausgesetzt. "Sie erbte Geld, sehr viel Geld", so Sauer. Aber Gretel Schopf bleibt Zeit ihres Lebens von diesem Vermögen völlig unbeeindruckt, macht ihre Ausbildung zur Kindergärtnerin, "arbeitete sehr hart" – bis zu ihrem gesundheitlichen Zusammenbruch als 26-Jährige. Der sie eben nach Unterlengenhardt führte, wo sie 1949 – unmittelbar nachdem die damalige Klinik Burghalde nach dem Verbot der Anthroposophie durch die Nazis ihren Betrieb wieder aufgenommen hatte – mit zu den ersten neuen Patienten gehört.

Sauer beschreibt eindringlich, wie Schopf damals, als es noch keine Antibiotika gegen Scharlach gab, monatelang völlig bewegungsunfähig mit dem Leben rang. Als sie den Kampf mit ärztlicher (antroposophischer) Hilfe letztlich gewann, und von ihren behandelnden Ärzten von den damaligen Problemen der Klinikführung erfuhr, war das erste, was sie nach ihrer Genesung tat: "Zeichnen", und zwar die Grundrisse für ein neues Krankenhaus – die 1957 eröffnete Paracelsus-Klinik. Schopf sollte in der Folge noch viele solcher Pläne für neue Bauten in Unterlengenhardt zeichnen – weil, wie sie kurz vor ihrem Tod in einem Interview verriet, sie eigentlich wohl sehr gerne Architektin geworden wäre.

Zur vollständigen Geschichte von Gretel Schopf gehört aber auch – und auch das sparte Mathias Sauer in seinem Vortrag nicht aus – dass es immer auch reichlich Konflikte mit ihr im Ort gegeben habe. Schopf sei eine schwierige, komplexe Persönlichkeit gewesen. Aber sie habe "eine Reinheit der Seele erreicht", die es ihr immer wieder erlaubt habe, "über ihre eigenen dunklen Schatten" hinwegzusteigen. Oder wie es Volker Kliewer als Leiter der Studienstätte und des "Gemeinnützigen Vereins zur Förderung der anthroposophischen Medizin und Pädagogik" ausdrückte: "Nachtragend war Gretel Schopf nie."

Am Ende ihres Lebens aber hatte Gretel Schopf nahezu ihr komplettes ererbtes Vermögen für ihr Mäzenatentum aufgebraucht – nicht nur in Unterlengenhardt, auch in ihrer Heimatstadt Bremen und vielen anderen Teilen der Welt. Und es meist durch großzügige Schenkungen in Stiftungen und Trägervereine überführt. Nie leichtfertig, wie Sauer unterstreicht. "Sie schenkte nicht einfach so." Aber wenn, dann mit kompromissloser Opferbereitschaft.

Altenhilfe-Einrichtung: Mäzene gesucht

Warum Mathias Sauer und Volker Kliewer all das mit soviel Offenheit, beeindruckender Leidenschaft und beispielloser Würdigung für Gretel Schopf erzählen? Weil Gretel Schopfs letzter großer Wunsch, die Errichtung einer Altenhilfe-Einrichtung in Unterlengenhardt, von ihr selbst nicht mehr umgesetzt werden konnte. Und man nun in Unterlengenhardt nach neuen Mäzenen sucht – mit einer ähnlich großen Wertschätzung für die Anthroposophie und die Stellung Unterlengenhardts als "Stern" der anthroposophischen Gemeinschaft. Wobei diese Aufgabe eine gewaltige ist, wie Volker Kliewer auf Nachfrage gesteht: denn aktuell werden noch rund zehn Millionen Euro für dieses weitere Mega-Projekt benötigt.

Ja, reden wir einmal übers Geld – und Unterlengenhardt: das Musterdorf der Anthroposophie. Dieser Tage jährte sich der Geburtstag der großen Mäzenin des Ortes, Gretel Schopf. Die Eduscho-Erbin hat bis zu ihrem Tod 2017 fast sieben Jahrzehnte lang die anthroposophischen Einrichtungen von Unterlengenhardt mit ihrem ererbten Vermögen großzügig unterstützt. Bis so gut wie kein Geld mehr von den Kaffee-Millionen ihres Vaters übrig war. Ziehen Sie jetzt auch gerade die Augenbrauen hoch? Zugegeben: Das hat auf den ersten Blick erst einmal ein "Geschmäckle" – gerade für Schwaben. Wer ruiniert schon gerne ein Vermögen!?

Andererseits: Mathias Sauer, leitendender Oberarzt der Paracelsus-Klinik – eben eine jener Einrichtungen, die von Gretel Schopfs Großzügigkeit über die Maßen profitierten –, erläuterte in seinem Festvortrag zum 95. Geburtstag auch seiner Mäzenin, dass die anthroposophischen Einrichtungen in Unterlengenhardt seit ihrer Gründung vor rund 100 Jahren nie aus eigener Kraft kostendeckend arbeiten konnten. Und wenn doch, dann nur, weil zuvor Mäzene wie Gretel Schopf Investitionen bar bezahlten, die dann den laufenden Betrieb nicht mehr mit Abträgen und Kapitalkosten belasteten. Übrigens ein Credo, das auch Eduscho-Gründer Eduard Schopf Zeit seines Lebens gepflegt haben soll: Investitionen mussten auch für ihn immer aus dem Haben bezahlt werden. Insofern sind anthroposophische Einrichtungen auch heute noch ohne die Großzügigkeit von Förderern einfach nicht denkbar. Es sind philanthrope Errungenschaften einer pluralistischen Gesellschaft, die sich bewährte Alternativen etwa zur Schulmedizin bewusst leisten möchte – weil sie anders als diese komplett unverdächtig sind, medizinische Leistungen nur deshalb zu verordnen, um allein ökonomische Planzahlen zu erzielen. Die aktuelle Diskussion um Operationen, die nur deshalb verordnet werden, um OPs optimal auszulasten, spricht Bände. Wodurch aber gerade anthroposophische Kliniken immer wieder – auch im Kreis Calw – zum wirksamen Maßstab und Vorbild werden für die Menschlichkeit, mit denen sich die Medizin ganz allgemein ihren Patienten nähert. Davon profitiert immer auch eine ganze Gesellschaft.

Deshalb ist es gut, dass in Unterlengenhardt jetzt die Suche nach neuen Mäzenen der anthroposophischen Einrichtungen dort eröffnet wurde. Und da ist überhaupt kein "Geschmäckle" dran – weil unser Gesundheitssystem an dieser Stelle nur so funktioniert; und in Bezug auf zu viel Profitstreben in der Medizin auch nur so in Schach gehalten werden kann. Und es ist bemerkenswert und ultimativ ehrenhaft, wenn Menschen – wie Gretel Schopf – diese Aufgabe für uns alle übernehmen. Auch mal quasi "mit allem, was sie haben". Ein besseres Investment in die Menschlichkeit der Medizin – wie sie eben derzeit überwiegend nur die Anthroposophie bietet – gibt es nicht. Das wird jeder, der beide "Welten" als Patient kennenlernte (Schulmedizin und Anthroposophie), gerne bestätigen.

Daher – schauen bitte auch Sie in Ihr Portemonnaie oder auf Ihr Konto, was Ihnen die gelebte Anthroposophie im Kreis Calw wert ist. Sparzinsen gib es derzeit eh nicht. Aber in Unterlengenhardt gibt es "Zinsen" auf echte Menschlichkeit. So gesehen, ist Gretel Schopf unermesslich reich gestorben.