Eine knappe Mehrheit der Bad Herrenalber hatte sich für einen Landkreiswechsel ausgesprochen. Foto: Deck

"Herrexit": Stellungnahme führt alle Argumente auf, die gegen Schritt sprechen könnten. Mit Kommentar

Bad Herrenalb/Kreis Calw - Ein knappes halbes Jahr nach dem Bürgerentscheid in Bad Herrenalb für einen Wechsel in den Kreis Karlsruhe hat der Landkreis Calw alle Argumente aufgefahren, die gegen diesen Schritt sprechen könnten. Ein "Herrexit" hätte demnach für die Kurstadt nur Nachteile.

Es war eine denkbar knappe Entscheidung am 23. Oktober vergangenen Jahres. 1872 Bad Herrenalber stimmten in dem von einer Bürgerinitiative initiierten Entscheid für einen Landkreiswechsel, 1829 – also nur 43 weniger – dagegen. Bevor der baden-württembergische Landtag als zuständiges Gremium sich mit solchen seltenen Fällen – auch die Stadt Reutlingen hat separatistische Gedanken – befasst, bat das Innenministerium den Kreis Calw um eine Stellungnahme, welche Auswirkungen ein solcher Kreiswechsel in rechtlicher, organisatorischer, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht haben könnte.

Gestern zur Sitzung des Kreistages lag diese geforderte Stellungnahme nun vor. In ihr kommt der Landkreis Calw zu dem Ergebnis, dass ein solcher Wechsel für die Kurstadt wirtschaftlich und politisch nur von Nachteil wäre, Kosteneffizienz und Bürgernähe blieben auf der Strecke.

Vieles stünde auf dem Spiel: von der ambulanten ärztlichen Versorgung, die vom Mittelbereich Bad Wildbad dem Bereich Ettlingen zugeschlagen würde, über die Kfz-Zulassungsstelle in Calmbach, die ihre Kunden zur Hälfe aus Bad Herrenalb bezieht, bis hin zum Verlust der Stützpunktfeuerwehr oder der dann wackelnden Jugendhilfe-Tagesgruppe in Bad Herrenalb.

Sollte der "Herrexit" noch in dieser Legislaturperiode über die Bühne gehen, müsste der Kreistag – entsprechend der 7641 verlorenen Einwohner – um zwei Sitze schrumpfen. Dabei sitzen drei Bad Herrenalber im Gremium: Bürgermeister Norbert Mai (Freie Wähler), Manfred Senk (Grüne) und Martin Lacroix (FDP).

Auch die Hoffnungen der Bürgerinitiative, unter Karlsruher Fittichen wirtschaftlich aufzublühen, hält man im Calwer Landratsamt für "völlig unrealistisch". Ob ein Gewerbetreibender oder ein Neubürger sich ansiedele, hänge nicht von administrativen Grenzen ab, sondern von verfügbarem Bauland, Grundstückspreisen, ÖPNV, Kinder- und Bildungseinrichtungen.

Besonders mit Blick auf den Tourismus sei ein Landkreiswechsel für die Kurstadt "strukturpolitisch ein schwerer Fehler". Gerade der Kreis Calw habe sich für die kleine Gartenschau in Bad Herrenalb stark gemacht und sei mit einem Landkreispavillon vertreten. Diese engen Bindungen würden bei einem Landkreiswechsel gelöst – zu beiderseitigem Nachteil. "Es sprechen Gründe des öffentlichen Wohls für die Zugehörigkeit der Stadt Bad Herrenalb zum Landkreis Calw", heißt es in dem Fazit der Stellungnahme, die heute ans Innenministerium geht. Oder wie es Landrat Helmut Riegger etwas pathetischer ausdrückte: "Die Zukunft von Bad Herrenalb liegt bei uns im Nordschwarzwald."

Nahezu einmütig – nur der Herrenalber Bürgermeister Norbert Mai enthielt sich der Stimme – stellte sich der Kreistag gestern hinter diese Argumentation. Es bestünde "keinen Grund. offene Rechnungen zu begleichen", sagte CDU-Fraktionsvorsitzender Jürgen Großmann, der dafür plädierte, "das Thema nicht zu überhöhen". Man akzeptiere das Bürgervotum, aber entscheiden über den Ausstiegsantrag müsse das Land, erklärte Volker Schuler, Fraktionschef der Freien Wähler. Und: "Es gibt strukturell wichtigere Probleme als die Verschiebung von administrativen Grenzen". Wohingegen Johannes Schwarz von den Grünen Bad Herrenalbs Separationsgedanken "strukturpolitisch nicht abwegig" fand.

"Noch ist kein Porzellan zerbrochen", befand SPD-Fraktionssprecher Rainer Prewo, der auf den Radarschirmen indes schon weitere Kreiskommunen ausmachte, die ähnliche Wechselgedanken hegen könnten. Karl Braun von der FDP nannte gleich Beispiele: "Haiterbach geht nach Freudenstadt und Gechingen nach Böblingen."

Etwas Positives konnte Sozialdemokrat Prewo dem Herrenalber Votum aber doch abgewinnen: "Es gibt in dieser Stadt eine selbstbewusste Bürgerschaft." Und der Kreis Calw, zwischen den Ballungsräumen Stuttgart und Karlsruhe gelegen, müsse lernen, "etwas mehr aus dieser Lage zu machen".

Laut den Signalen, die Landrat Riegger aus dem Innenministerium bekommen hat, will der Landtag noch vor der Sommerpause über den am 3. November bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann eingegangenen Antrag Bad Herrenalbs zum Ausstieg aus dem württembergischen Kreis Calw und Wechsel ins Badische beraten.

In Karlsruhe hatte man offen Zweifel geäußert, ob ein solcher Schritt überhaupt dem öffentlichen Wohl im Landkreis dient. Und eines schrieben die umworbenen Badener den Herrenalbern unverblümt ins Stammbuch: Weil der Landkreis Karlsruhe durch ihren Beitritt an Finanzkraft einbüßen würde, würde es für die Kurstadt – beispielsweise bei der Flüchtlingsunterbringung oder bei den Sozialleistungen – "keine Sonderregelungen" geben.

Kommentar: Aussichtslos

Von Roland Buckenmaier

Bad Herrenalb gleicht einem Liebhaber, der seiner alten Liaison überdrüssig der hübschen Nachbarin schöne Augen macht – und von ihr unverblümt einen Korb bekommt. Ein halbes Jahr nach dem Bürgerentscheid muss man in der Kurstadt langsam einsehen, dass außer den 1872 Bürgern, die für einen »Herrexit« votierten, den Wechsel in den Kreis Karlsruhe niemand ernsthaft will.

Das Land nicht, weil es einen Präzedenzfall fürchtet, der andere Kommunen zu ähnlichen Wechselgedanken verleiten könnte. Der adorierte Kreis Karlsruhe nicht und der Kreis Calw schon gar nicht. Man kann warten, bis viel Porzellan zerschlagen ist, und reumütig zurückkehren. Man kann es aber auch – rechtzeitig – erhobenen Hauptes tun. Wer partout mit dem Kopf durch die Wand will, muss sich indes fragen lassen, was er im Nebenzimmer will, wo er völlig isoliert ist.