Technik-Messe CES 2018 in Las Vegas (USA): Ein autonom fahrendes Taxi der Firma Navya fährt während einer Präsentation als Teil der Technik-Messe eine Straße entlang. Foto: AP

Deutsche Firmen experimentieren kräftig mit dem selbstfahrenden Auto. Doch Branchenexperte Andreas Herrmann warnt: Die Industrie könnte zum Blech-Lieferanten degradiert werden.

Stuttgart - Länder wie China, die USA und Israel arbeiten intensiv am digitalen Auto und der kommerziellen Verwertung der Daten. Die deutsche Autoindustrie dagegen setzt auf einen betont zurückhaltenden Umgang mit den Daten. Ein Irrweg, meint Andreas Herrmann von der renommierten Universität St. Gallen. Denn das Geld werde künftig mit den Daten verdient und nicht mit dem Blech.

Herr Herrmann, nur jeder vierte Deutsche würde sich heute einem selbstfahrenden Auto anvertrauen. Können Sie das verstehen?
Die Menschen verzeihen anderen Menschen Fehler, nicht aber der Maschine. Sie unterschätzen zugleich aber die Risiken des heutigen Fahrens. 94 Prozent der Unfälle im Straßenverkehr sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Wenn man die Menschen fragt, wie gut sie im Vergleich zu den anderen fahren können, halten sich fast alle für überdurchschnittlich gut. Sie halten sich selbst für fast fehlerfrei, reagieren aber kritisch, wenn einmal mit einem autonomen Fahrzeug etwas passiert.
Wird es trotzdem gelingen, diese Technologie auf die Straße zu bringen?
Diese Entwicklung ist bereits in vollem Gang. Elektronische Systeme wie Spurhalte- und Einparkassistenten nehmen dem Menschen immer mehr Aufgaben ab. Diese Entwicklung wird weitergehen, bis das Auto in 10 bis 15 Jahren komplett selbst fährt. In dieser Zeit kann das autonome Fahren Schritt für Schritt Vertrauen aufbauen.
Es gibt aber auch Menschen, die wollen das Steuer gar nicht aus der Hand geben, weil ihnen das Fahren Spaß macht. Kann man autonome und von Menschen gesteuerte Autos denn auch gemeinsam auf die Straße lassen?
Das ist schwierig. Wenn ein Teil der Fahrzeuge miteinander kommuniziert und sich einige einsame Satelliten darunter mischen, ist eine Koordination kaum möglich. Aber auch dann kann man immer noch vorgehen wie in Singapur, wo es für autonome Autos separate Spuren gibt. Über kurz oder lang wird jedoch kein Weg daran vorbeiführen, dass das Lenkrad aus den Autos verschwindet. Autos mit Lenkrad werden dann Oldtimer sein, die man am Wochenende noch auf speziellen Rennstrecken ausfahren kann.
Es wird aber immer Verkehrsteilnehmer geben, die sich nicht maschinell steuern lassen – zum Beispiel Kinder.
Gerade hier ist die Künstliche Intelligenz schon enorm weit. Sie kann sogar erkennen, wenn Kinder über die Straße hinweg miteinander sprechen und möglicherweise gleich auf die Straße springen.
Das kann ein aufmerksamer menschlicher Fahrer auch.
Die Künstliche Intelligenz lernt viel schneller dazu als es ein Mensch je können wird. Denn der Mensch lernt vor allem aus seinen eigenen Erfahrungen. Das Auto aber leitet seine Lernprozesse auch aus den Algorithmen von Millionen anderer Autos ab. Dadurch wird ein Wissen erschlossen, das ein Mensch nie haben kann.
Wenn das Auto aus Erfahrungen lernt, sich also gewissermaßen selbst programmiert – gibt es dann überhaupt noch jemanden, der verantwortlich für das ist, was das Fahrzeug tut?
Wir betreten hier juristisch völliges Neuland. Je mehr die Maschine selbst entscheidet, desto weniger ist der Mensch in der Haftung. Es gibt inzwischen eine ernsthafte Diskussion, dem Auto eine eigenständige Rechtspersönlichkeit zuzusprechen, so dass es auch verklagt werden kann. Der Fahrzeughersteller muss das Auto dann mit einer gewissen Haftungssumme ausstatten, aus der im Schadenfall Zahlungen geleistet werden.
Das autonome Auto ist ständig im Internet und produziert jede Menge Daten. Wem nützt das? Wie lässt sich damit Geld verdienen?
Wenn ich Hobbysportler bin, könnte es etwa sein, dass ich im Stau nach neuen Laufschuhen suche. Das bekommt Google sofort mit und weiß auch, wo ich mich gerade befinde. Google kann dann ein Geschäft in der Nähe suchen, das diese Schuhe vorrätig hat und den Fahrer dort hinlotsen. An dem anschließenden Kauf verdient dann auch Google.
Deutsche Unternehmen wie Daimler oder Bosch setzen gerade nicht auf den exzessiven Umgang mit Daten, sondern wollen dem Kunden die Kontrolle über seine Daten überlassen. Kann das funktionieren?
Die Menschen verbringen pro Jahr weltweit rund 400 Milliarden Stunden im Auto. Wenn man jede dieser Stunden mit zehn Dollar bewertet, kommt man auf die unvorstellbare Summe von umgerechnet vier Billionen Euro, die durch das autonome Fahren kommerziell erschlossen werden kann. Das ist doppelt so viel wie der Wert aller Autos, die in der ganzen Welt in der gleichen Zeit verkauft werden. Das Auto wird zur neuen Informationsplattform, mit der sich enorm viel Geld verdienen lässt. Die Autohersteller müssen aufpassen, dass sie für diese Plattform nicht nur das Metall und die Reifen liefern.
Wo sehen Sie die deutsche Autoindustrie im Wettbewerb um die Digitalisierung?
Ich mache mir da große Sorgen. Das Geschäft in der weltweiten Autobranche wird derzeit komplett neu verteilt. Gemessen daran ist man in Deutschland bisher sehr gelassen. Denn die neue Autoindustrie entsteht nicht in Deutschland, sondern in Kalifornien, Singapur, Israel, Finnland, Shanghai und in der Schweiz. Dort werden die Technologien entwickelt, die in Zukunft für das autonome Fahren, für den Schutz vor Cyber-Attacken und für die Künstliche Intelligenz benötigt werden – also für das, was künftig den Wert eines Autos ausmachen wird. Die deutsche Industrie kann derzeit vor Kraft kaum laufen, und das könnte für sie zum Problem werden. Es fehlt der Druck, sich schnell zu verändern.
Aber gerade die deutschen Premiumhersteller bauen ja keine Allerweltautos, sondern Fahrzeuge, die wegen ihrer anspruchsvollen Technologien und auch wegen der Marken gekauft werden.
Auch sie müssen aufpassen, dass sie sich in der neuen Welt der Mobilität nicht in der zweiten Reihe wiederfinden. Wenn sie sich nicht selbst zu Mobilitätsdienstleistern entwickeln, werden immer mehr andere diese Dienste anbieten. Es ist gut vorstellbar, dass neben großen Unternehmen wie Uber zunehmend auch Verkehrsunternehmen oder Städte eigene Flotten von Autos betreiben, die autonom zum Kunden fahren und kurzfristig vermietet werden. Dadurch sinkt der Bedarf an Autos, die man für sich selbst kauft. Bei den übrigen Fahrzeugen können sich Mobilitätsdienstleister zwischen Hersteller und Endkunden schieben und ihnen das Geschäft aus der Hand nehmen.
Das klingt ja ziemlich bedrohlich.
Die Mobilität ist ein enormes Bedürfnis der Menschen in aller Welt, vor allem in den Schwellenländern. Die Autohersteller sind also durchaus weiter in der richtigen Branche unterwegs. Doch in anderen Teilen der Welt ist die Dynamik der Entwicklung viel höher als in Deutschland. Das sollte sich so nicht fortsetzen. Es steht schließlich nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft des industriellen Kerns von Deutschland.