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Händeringend suchen die Kommunen in der Region Stuttgart nach Möglichkeiten, die allmonatlich zugewiesenen neuen Flüchtlinge unterzubringen. Mal werden hierfür Container aufgestellt, wie aktuell im Kreis Ludwigsburg. Oft aber gibt es Klagen gegen Asylheime, wie jetzt in Fellbach-Oeffingen.

Stuttgart - Im vergangenen Herbst noch war Johannes Fuchs, Landrat im Rems-Murr-Kreis, richtig glücklich. In höchsten Tönen lobte er die Solidarität des Fellbacher Rathauschefs Christoph Palm, dessen Verwaltung ein Gebäude im Stadtteil Oeffingen zur Unterbringung von 68 Asylbewerbern angeboten hatte. Seit November gibt’s in dem früheren Roncalli-Haus der Caritas eine multikulturelle Hausgemeinschaft – mit Bewohnern aus Serbien, Mazedonien, Algerien, aus dem Iran und natürlich Syrien.

Vor wenigen Tagen dann der Paukenschlag. Anwohner hatten gegen die Baugenehmigung, mit der die Nutzungsänderung des Hauses besiegelt wurde, geklagt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat nun, wie die Stadt Fellbach mitteilt, „den Beschwerdeführern die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs“ eingeräumt. Anders gesagt: Die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung vom Bildungshaus zur Asylunterkunft ist womöglich irregulär. Bis dies endgültig geklärt ist, müssen die 68 Asylbewerber raus und andernorts untergebracht werden– zumindest theoretisch.

Protest aus der Nachbarschaft

Kreischef Fuchs ist perplex. „Wir sind von dem Urteil überrumpelt“, sagt der Landrat. Das Roncalli-Haus habe doch bereits vor der Belegung durch Asylsuchende als Heim für Jugendliche gedient, seine Wohnnutzung war genehmigt. Die jetzige Entscheidung stelle den Kreis vor größte Probleme. Derzeit sind kreisweit 642 Flüchtlinge untergebracht. Jeden Monat müsse der Kreis für die Unterbringung weiterer 36 neuer Flüchtlinge sorgen, die vom Land Baden-Württemberg zugewiesen werden. „Die Plätze in den Unterkünften sind restlos belegt.“

Der Widerstand einiger Anwohner in Oeffingen stößt bei den Kreisbeamten auf Unverständnis. „Seit der Unterbringung der Flüchtlinge im November letzten Jahres sind zu keiner Zeit irgendwelche Klagen von Anwohnern eingegangen – unser Konzept ist also aufgegangen“, sagt der zuständige Kreis-Geschäftsbereichsleiter Harald Deiß. Die klare Botschaft des Landrats gen Fellbach und Oeffingen: „Die Menschen aus dem Roncalli-Haus woanders unterzubringen, während laufend weitere Asylbewerber dringend der Aufnahme bedürfen, ist schlichtweg unmöglich.“

Ähnliche Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft deuten sich auch in der Kreishauptstadt an. Im Waiblinger Industriegebiet Ameisenbühl gibt es eine Art Voranfrage bezüglich der Umwidmung eines bisherigen Büro- und Lagergebäudes in ein Asylheim für 75 Menschen. Doch Nachbarn warnen vor Überfällen, Vergewaltigungen und Rauschgiftdealern, die Berufsschüler des nahen Kreis-Schulzentrums zum Drogenkonsum verleiten könnten. Waiblingens OB Andreas Hesky reagiert bestürzt: Man sollte diesen Menschen doch „mit Toleranz und Gastfreundschaft begegnen – solche Vorurteile passen nicht mehr in unsere Zeit und machen mich traurig“.

Die Situation in den Kreisen

Hilferuf aus Esslingen

Im Kreis Esslingen sorgte vergangene Woche der dramatische Hilferuf eines jungen Iraners für Aufsehen, der sich den Mund zugenäht hat, um gegen seine Abschiebung zu protestieren. Weil er einen depressiven Eindruck gemacht habe, wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. Freunde des jungen Iraners halten es für möglich, dass er durch die drangvolle Enge in der Asylbewerberunterkunft in Aichtal depressiv wurde: Er musste das Zimmer mit sechs fremden Männern teilen, die Küche mit 28 Bewohnern. Psychisch sind solche Verhältnisse für die Flüchtlinge sehr belastend. Das zeigt auch die Messerstecherei in einem Asylbewerberheim in Kirchheim vor drei Wochen, bei der ein junger Kurde ums Leben kam und vier Mitbewohner teils schwer verletzt wurden.

In Kirchheim hat diese tödliche Auseinandersetzung das rechte politische Lager mobilgemacht: Dort verbreitet eine Neonazigruppe namens Freie Nationalisten Esslingen per Flugblatt die These vom „Gewalt- und Gefahrenpotenzial“ der Asylbewerber und einer „regelrechten Explosion der Gewalt“. Mit dieser Auffassung stehen die Rechten aber recht alleine da. Peter Keck, der Sprecher des Landratsamts, weiß von keinen Protesten. Der Kreis muss monatlich 35 Personen neu aufnehmen und ist bereits mit 66 Personen im Defizit. Neue Mietobjekte in Wolfschlugen, Nürtingen und Filderstadt würden im April belegt. Dann werde man auch auf mobile Wohneinheiten zurückgreifen müssen – also Container. Die will Keck nicht schlechtreden: In solchen wurden während des Umbaus der Rohräckerschule auch Schüler unterrichtet.

Platzmangel in Stuttgart

1170 Flüchtlinge in 55 Einrichtungen: So sieht es derzeit in der Landeshauptstadt aus. Probleme mit den Nachbarn? „Nein“, sagt Stefan Spatz, der stellvertretende Leiter des Sozialamts. Zuletzt hat die Stadt ein ehemaliges Studentenwohnheim an der Nordbahnhofstraße für Asylbewerber hergerichtet. 135 Menschen sind seit Dezember in das 150-Plätze-Haus eingezogen. „Es läuft prima“, sagt Spatz.

Dennoch bleibt die Lage in Stuttgart angespannt. 520 Personen (2012: 470) muss die Stadt in diesem Jahr aufnehmen. Dazu rechnet Spatz mit etwa 50 weiteren Menschen, die mit einem sogenannten Asylfolgeantrag Erfolg haben. Macht zusammen 570. Da Flüchtlinge aber teils in ihr Heimatland abgeschoben werden oder, wenn sie anerkannt sind, die Unterkünfte verlassen, rechnet Stefan Spatz unterm Strich mit einem Bedarf von weiteren 400 Wohnplätzen. Mögliche Standorte würden derzeit geprüft.

Container für Ludwigsburg

Das Ludwigsburger Landratsamt hat bereits mit dem Gedanken gespielt, beheizbare Zelte für die Unterbringung zusätzlicher Asylbewerber anzumieten. Wegen der hohen Energiekosten wurde die Idee aber wieder verworfen. Weil ein Ende des Zustroms nicht absehbar ist, sollen die Flüchtlinge jetzt in Containern untergebracht werden. Am Montag haben sich die Kreisräte mit dem Plan befasst, auf dem Pfisterer-Gelände am Benninger Neckarufer gleich 14 Doppelstockcontainer aufzustellen. Die Kosten für die Anschaffung werden auf 450 000 Euro geschätzt, 50 Menschen sollen in der neuen Unterkunft unterkommen. Auch in Bietigheim, Freiberg und Schwieberdingen hat der Landkreis bereits Objekte gemietet.

Allerdings: Mit Blick auf die Prognosen für 2013 sind auch die Container nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Landesweit wird in diesem Jahr nämlich mit mehr als 11 000 Asylbewerbern gerechnet. Allein der Landkreis Ludwigsburg muss deshalb 550 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Zum Vergleich: 2012 waren es 365. Und im Jahr 2007 waren im ganzen Kreis gerade mal 33 Asylbewerber unterzubringen.

Entspannung in Böblingen

In Böblingen hat eine 1,7-Millionen-Euro-Investition die Situation erst einmal entschärft. Für diesen Betrag hat der Landkreis das ehemalige Zollhaus an der Sindelfinger Straße in Böblingen hergerichtet. Bis zu 92 Asylbewerber finden hier Platz. Im März sind die ersten Flüchtlinge eingezogen.

Aktuell sind in den insgesamt neun Unterkünften in Böblingen (zwei), Herrenberg (zwei), Gäufelden (drei) sowie in Aidlingen und Renningen 343 Menschen untergebracht. Proteste gegen Unterkünfte hat es nur in Aidlingen gegeben. Doch auch da, sagt Landratsamtssprecher Dusan Minic, sei Ruhe eingekehrt: „Wir betreuen die Flüchtlinge vor Ort.“ Minic rechnet damit, dass die Zahl der Asylbewerber bis Ende 2013 auf deutlich über 400 steigen wird. Bis dahin sollen 464 Wohnplätze eingerichtet sein. Neuankömmlinge müssen dann teils in Container ziehen, die unter anderem in Gäufelden aufgestellt werden. Zwei bisher gemietete Pensionen, darunter auch die in Aidlingen, sollen aufgegeben werden.

Verspätung in Göppingen

Der Kreis Göppingen hinkt bei der Aufnahme mit 35 Personen dem Soll hinterher; er muss monatlich 25 Menschen unterbringen. Die Hälfte der Asylbewerberplätze ist bereits in Wohncontainern. „Wir sind dringend auf der Suche nach weiteren 100 Plätzen“, sagt Marco Lehnert vom Amt für Aufnahme und Eingliederung. Deshalb müssten die Flüchtlinge auch weiterhin mit 4,5 Quadratmetern auskommen. Die vom Land angepeilten rund sieben Quadratmeter seien unter dem derzeitigen Druck illusorisch.