Rettungsfahrzeuge transportieren Verletzte vom Tatort am Berliner Breitscheidplatz in Krankenhäuser. Foto: dpa

Wer geglaubt hat, Deutschland bleibe von dem Terrorismus verschont, der 2001 in den USA begann, sieht sich definitiv widerlegt. Jede Gegenstrategie muss sich am globalen Charakter der Bedrohung orientieren, kommentierte StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Was für eine Arglist, was für eine Niedertracht. Flugs einen Sattelschlepper zum Mordinstrument verwandelt und rauf damit auf einen Berliner Weihnachtsmarkt. Das ist das Tatmuster des vierten schweren Anschlags in Deutschland in diesem Jahr. Das Motiv der Verantwortlichen? Ohne Bedeutung. Kein Anliegen rechtfertigt dieses Verbrechen. Wer sich nach den knapp gescheiterten Anschlägen von Koblenz 2006 und Bonn 2012 noch der Illusion hingegeben haben mag, was von den Terrorangriffen auf New York und Washington 2001 seinen Ausgang genommen hatte, ziele nur auf Afghanen, Amerikaner, Franzosen, Inder oder Russen, sieht sich definitiv widerlegt.

Dunkle Schattenseite der Globalisierung

Der Terrorismus gehört als dunkle Schattenseite zu Globalisierung und weltweiter Vernetzung. Verbrechen, die in Pakistan oder im Jemen verübt werden, können morgen schon Nachahmung in Nizza oder Berlin finden. In Bosnien, Nigeria oder Tschetschenien berufen sich Terroristen auf Islam-Auslegung aus Saudi-Arabien, die im fundamentalen Widerspruch zu den Traditionen des Islam in ihren Heimatländern stehen.

Wenn die Folgen all dessen quasi weltumspannend schwerstes Leid verursachen, dann hat das Bedeutung für jede Gegenstrategie. Kein Land wird im Alleingang des Terrorismus Herr werden.

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Daher ist es völlig richtig, dass sich deutsche Polizeibehörden und Geheimdienste zunehmend mit denen anderer Länder vernetzen. Ausdrücklich auch solcher mit anderen politischen Systemen. Aber das reicht nicht. Zumindest EU und Nato, als Werte- und Schicksalsgemeinschaften begründet und verfasst, müssen auch politisch und gesellschaftlich wieder enger zusammen rücken. Unter der gemeinsamen terroristischen Bedrohung hat das, was derzeit trennt – vom Streit um die Flüchtlings- und die Währungspolitik bis zum Geschacher um das finanzielle Engagement für die gemeinsamen Aufgaben – klar zurückzustehen. Hinzukommen muss der feste Wille freier Bürger, das eigene Leben nicht zu ändern, sich dem Terror nicht zu beugen. Das ist immer noch die entschiedenste Antwort auf die Anmaßung der Täter.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de