Den Kranz der Stadt legten Lautlingens Ortsvorsteherin Juliane Gärtner und Oberbürgermeister Klaus Konzelmann nieder. Fotos: Kistner Foto: Schwarzwälder-Bote

Gedenkfeier: Nicola Wenge spricht in Lautlingen über Widerstand im Dritten Reich

Albstadt-Lautlingen. In einer Feier in der Lautlinger Pfarrkirche ist gestern der Männer des 20. Juli gedacht worden – aber nicht nur ihrer: Die Historikerin Nicola Wenge, die den Vortrag hielt, würdigte auch den Opfermut anderer, weniger bekannter Widerständler.

Albstadt-Lautlingen. Wenge ist Mitglied im Sprecherrat der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen Baden-Württemberg; sie leitet das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (KZ-Gedenkstätte) in Ulm. Der Kuhberg war eines jener Konzentrationslager, in denen die Nazis in den ersten Jahren nach der Machtergreifung ihre politischen Widersacher in "Schutzhaft" nahmen; der Widerstand, mit dem sich Wenge von Haus aus befasst, ist daher nicht der späte der Offiziere, sondern der frühe der Arbeiterbewegung, der Kommunisten und Sozialdemokraten. Kein Widerstand mit Sprengstoffpaketen, sondern mit Flugblättern und Streuzetteln, ein riskanter und verlustreicher Widerstand, der nur wenig direkte Wirkung erzielte. Wenge erinnerte unter anderem an einen Ebinger, den KPD-Stadtrat Adolf Frey, der bereits im April 1933 auf dem Kuhberg inhaftiert wurde, und an die 23-jährige Münchner Verkäuferin Rosa Frey, die Anfang 1934 verhaftet, im KZ gefoltert und geschlagen wurde und erst elf Jahre später, am 6. Mai 1945, wieder frei kam.

Neben dem Arbeiterwiderstand gab es auch den durch den Glauben motivierten der Zeugen Jehovas, die den Hitler-Gruß ebenso verweigerten wie den Wehrdienst, es gab Christen wie Gertrud Luckner, langjährige Referentin im Deutschen Caritas-Verband, die Juden zur Flucht in Schweiz verhalf, oder den evangelischen Pfarrer Julius von Jan aus Oberlenningen, der in einer öffentlichen Predigt darum betete, der "Geist der Buße" möge über den Führer kommen, und deshalb für 16 Monate ins Gefängnis musste. Es gab die Studenten der Weißen Rose, und es gab den einsamen Georg Elser, der die Bombe im Bürgerbräukeller zündete und kurz vor Kriegsende exekutiert wurde.

Und es gab den 20. Juli. Der Umsturzversuch von Claus von Stauffenberg und seinen Mitstreitern war letztlich der aussichtsreichste Widerstandsversuch im Dritten Reich, die Männer des 20. Juli wurden nach einer frühen Phase der Diffamierung in der Bonner Republik das Paradigma deutschen Widerstands und Anstands schlechthin – die DDR feierte dagegen ausschließlich die kommunistischen Kämpfer gegen Hitler. Nicola Wenge ist es wichtig, von solcher Heroisierung fort zu einem nuancierten Bild jener Menschen zu gelangen, die sich den braunen Rattenfängern entzogen, ohne deshalb die Moralvorstellungen des angehende 21. Jahrhunderts zu teilen – wie hätten sie das können? – oder auch nur gute Demokraten zu sein. Das waren sie oft nicht; sie waren dafür etwas anderes: mutige Menschen, die Recht von Unrecht zu unterscheiden wussten, danach handelten und dabei über sich hinauswuchsen. Die grundsätzliche Möglichkeit, es ihnen gleichzutun und auch in Zeiten des Unrechts das Rechte zu tun, das, so Nicola Wenge, verbinde die heutigen Deutschen mit den Aufrechten von 1944 – was immer sie sonst von ihnen trenne außer 73 Jahren.

Wobei es gestattet ist zu hoffen, dass einem die ultimative Charakterprobe erspart bleiben möge – dies war eine unter anderen Bitten, die Pfarrer Andreas Gog in seinem folgenden Gebet aussprach. Danach wurden Kränze am Ehrenmal niedergelegt und den Toten die Reverenz erwiesen. Für den musikalischen Rahmen der Gedenkfeier sorgten Bläser der Musikkapelle Lautlingen und die Sopranistin Carla Thullner, die – sehr ergreifend – a capella die walisische Weise "The Ash Grove" und den Bach-Choral "Bist du bei mir" sang.