In diesem Haus in Ebingen wurde das Rentner-Ehepaar ermordet. Foto: dpa

Aufatmen im Zollernalbkreis: Mutmaßlicher Doppelmörder geht den Ermittlern nach zwei Wochen intensiver Fahndung ins Netz.

Albstadt-Ebingen/Hechingen - Jörg K. sieht nicht aus wie ein Mörder. Auf einem der Fotos, mit denen die Polizei im Zusammenhang mit dem Mord an einem Rentnerehepaar aus Albstadt (Zollernalbkreis) nach dem 46-Jährigen gefahndet hat, wirkt er wie der nette Mann von nebenan. Gepflegte Erscheinung. Freundliches Lächeln. Leicht untersetzt. Einer von der gemütlichen Sorte.

Wie Jörg K. zum Hauptverdächtigen in jenem Mordfall geworden ist, der zwei Wochen lang 80 Polizisten der Sonderkommission "Kreuzbühl", Bereitschaftspolizisten, das Landeskriminalamt, die Bundespolizei und darüber hinaus ganz Albstadt und Umgebung in Atem gehalten hat, das werden wohl erst die weiteren polizeilichen Ermittlungen ans Tageslicht bringen.

Fest steht nur eins: Wenn K. tatsächlich der Mörder des 81-Jährigen und seiner 77-jährigen Frau sein sollte, dann muss irgendwann zwischen 2010 und dem Freitag vor zwei Wochen etwas schief gelaufen sein in seinem Leben.

Gerüchte in Albstadt überschlagen sich

Es war der Tag, an dem Jörg K. zum ersten Mal gesehen worden sein soll in der dunklen Limousine des wohlhabenden Ehepaares, das in einer gehobenen Wohngegend im größten Albstädter Stadtteil Ebingen seinen Lebensabend verbrachte. Erst vor Kurzem waren die Eheleute aus dem Urlaub zurückgekehrt. In dem Hotel in Südtirol, in dem sie seit 30 Jahren Stammgäste waren, gehörten sie praktisch zur Familie, berichtet die Wirtin. In der Nachbarschaft war das Paar, das zurückgezogen lebte und als sehr eng und harmonisch galt, beliebt.

Was hat sich zwischen dem 21.  und dem 24. März in dem Haus abgespielt? Wer war der Täter? Hat er alleine gehandelt oder hatte er Komplizen?

Einbruchsspuren gibt es nicht. Wie der Mörder der Eheleute sich Zugang zu dem unauffälligen Gebäude am Hang in der Beethovenstraße verschafft hat, darüber schweigt die Polizei bisher – noch immer aus ermittlungstaktischen Gründen: Den mutmaßlichen Täter zu fassen war eine Sache – nun gilt es, ihm die Tat auch nachzuweisen. Gleichwohl ist die Staatsanwaltschaft Hechingen, die den Fall bearbeitet, sich bewusst, dass die Gerüchteküche in der Stadt wild brodelt. Was hat sich zwischen dem 21.  und dem 24.  März in dem Haus abgespielt? Wer war der Täter? Hat er alleine gehandelt oder hatte er Komplizen? Über all diese Fragen wird dieser Tage viel kolportiert und wild spekuliert an Marktständen und Stammtischen.

Eine der Aussagen, zu denen die Ermittler sich nicht äußern wollen: Jörg K. soll Gartenarbeiten auf dem Anwesen des Paares erledigt haben.

Andere Informationen hat die Staatsanwaltschaft bestätigt. Mindestens drei Mal war der mutmaßliche Täter mit der Scheckkarte des Ehepaares unterwegs zu Bankautomaten der Sparkasse, um Geld abzuheben. Immer in den frühen Morgenstunden. Dabei hat er sich getarnt: einmal mit einer auffälligen Decke, einmal mit einem Schal. Außerdem hat er kleine Filialen in drei Albstädter Stadtteilen gewählt: in Laufen an der Ortsdurchfahrt, in Lautlingen an der Ortsdurchfahrt – nur in Ebingen nicht. Dort war es die abgelegene Filiale in der Friedrich-List-Straße in einem ruhigen Wohngebiet in der Oststadt – spätestens diese Entscheidung hat die Frage aufgeworfen, ob der Gesuchte über gute Ortskenntnisse verfügte.

Auf Jörg K. trifft das zu. Der 46-Jährige ist im Albstädter Stadtteil Tailfingen aufgewachsen, im benachbarten Truchtelfingen zur Schule gegangen. Zuletzt lebte er in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Ebinger Baschianstraße – seit dem Jahr 2003. Die Friedrich-List-Straße liegt gerade mal einen Kilometer davon entfernt, die Beethovenstraße ganze drei.

Dorthin muss der mutmaßliche Täter am Montag, 24. März, noch einmal zurückgekehrt sein, denn an diesem Tag war der Wagen der Eheleute, ein dunkelblauer 5er-BMW, gegen 6 Uhr ohne Licht aus der Einfahrt geschossen, wie ein Anwohner beobachtet hat. Als am Abend die Polizei am Haus eintraf – eines der drei auswärts lebenden Kinder des Paares hatte seine Eltern nicht erreicht und die Beamten verständigt – stand das Auto in der Garage.

Was die Spurensicherung, die fast eine Woche lang zu tun hatte, im Haus vorgefunden hat, gibt Hinweise darauf, dass die Eheleute ein Martyrium erlebt haben vor ihrem Tod am Samstag oder Sonntag.

Was nach Entdeckung der Tat geschehen ist, hat die Menschen in der 45.000-Einwohner-Stadt besonders beunruhigt: Während teilweise mehr als 100 Polizisten, teils mit Spürhunden, in der Stadt unterwegs waren, Bahngleise abschritten und Straßengräben nach Spuren absuchten, spazierte Jörg K. völlig unbehelligt in die Zentrale der Volksbank Ebingen, um den Geldautomaten zu benutzen. Er soll Geld sowohl eingezahlt als auch abgehoben haben. Dass K. Kunde der Bank war und die Aufnahmen der Überwachungskameras in der Automatenhalle von Belang sein könnten, haben die Ermittler offenbar am Sonntag entdeckt. Ein Zeuge hatte den Mann auf den Fahndungsfotos der Polizei, die am Freitag, 28. März, veröffentlicht wurden, erkannt: nicht an der ungewöhnlichen Decke, sondern an seiner "Gesamterscheinung". So galt der nächste Einsatz der Spurensicherung dem Haus des mutmaßlichen Täters. Das war am Sonntagabend.

Nun wollen die Ermittler den "dringend Tatverdächtigen" überführen. Vielleicht finden sie dabei auch mehr über das Motiv heraus.

Seit Montag dieser Woche waren die Schleusen dann geöffnet: Die Staatsanwaltschaft machte den Namen des Gesuchten publik, die Polizei demonstrierte Dauerpräsenz in und um Albstadt, erhöhte den Fahndungsdruck gar landesweit.

Auch im Raum Stuttgart soll der 46-Jährige sich aufgehalten haben. Bekannt war das den Ermittlern schon, bevor am Mittwoch um 23 Uhr ein Zug der Hohenzollerischen Landesbahn aus eben jener Richtung (genauer: aus Tübingen) in Hechingen eintraf und von der Polizei erwartet wurde. Bundespolizisten, die auch routinemäßig in Zügen unterwegs sind, hatten Jörg K. erkannt und Verstärkung mobilisiert. Zu auffällig war wohl der korpulente 46-Jährige mit der markanten Stirnglatze und dem ungepflegten, über die Mundwinkel hängenden Schnauzbart – kurzum: der Mann, der mit dem Foto von 2010 nur noch wenig Ähnlichkeit hat.

Die Nachricht von seiner Festnahme, die nach Polizeiangaben konzertiert und ohne andere Zugpassagiere zu gefährden abgelaufen ist, obwohl K. sich widersetzt habe, hat sich gestern in Albstadt wie ein Lauffeuer verbreitet. Allgemeines Aufatmen ist zu spüren – auch bei der Polizei, die bereits Lob von höchster Stelle kassiert hat: Innenminister Reinhold Gall (SPD) würdigt die Arbeit des Polizeipräsidiums Tuttlingen und der unterstützenden Kräfte über den grünen Klee.

Deren Arbeit geht freilich noch weiter: Nun wollen die Ermittler den "dringend Tatverdächtigen" überführen. Vielleicht finden sie dabei auch mehr heraus über das Motiv und darüber, wie aus dem freundlich lächelnden Mann auf dem Passbild von 2010 ein landesweit gesuchter Mordverdächtiger wurde.