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Annette Schavan ermutigt beim Neujahrsempfang der Volksbank Albstadt zu Neugier und Gemeinsinn

Wer in Zeiten der Krise so besonnen über die Chancen des Wandels sprechen kann, kommt bei den Gästen der Volksbank Albstadt gut an – das hat Annette Schavan mit einem glänzenden Vortrag gezeigt.

Albstadt-Ebingen. "Feuer frei für Werte!" Die Worte, mit denen Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Fandrich beim Neujahrsempfang der Volksbank Albstadt das Wort an die Hauptrednerin Annette Schavan übergab, gefiel der einstigen baden-württembergischen Kultus- und Bundesbildungs- und -forschungsministerin.

"Werte. Wandel. Wachstum" war ihr Thema – und sie machte den Zuhörern in der voll besetzten Festhalle Ebingen deutlich, was das mit ihnen zu tun hat. Die vielen schwäbischen Unternehmer im Publikum hörten es sicher gerne: In Baden-Württemberg würden Traditionen gepflegt, die prägende Kräfte freisetzten und ermutigten, nämlich in den familienorientierten mittelständischen Unternehmen, betonte Schavan. "Das kennen viele Länder nicht: Diese Familien sind es, die in ihren Unternehmen einen Generationenvertrag praktizieren und ausbilden."

"Unternehmen mit Interesse für die Talente junger Menschen sind ein Glücksfall"

Während ein Viertel aller jungen Menschen in Europa – in Rom, wo sie von 2014 bis 2018 deutsche Botschafterin beim Vatikan war, und weiter südlich seien es sogar 50 Prozent – ohne Berufsperspektive seien, gehöre Ausbildung hierzulande zum Ethos: Firmen, die sich für die Talente junger Menschen interessierten und sie förderten, seien ein Glücksfall für jede Gemeinde. Nur daraus entstehe qualifiziertes Wachstum und ein Verständnis für Ressourcen.

Neugier gehört für Schavan zu den wichtigsten Grundhaltungen – und in Zeiten des Wandels sei sie wichtiger denn je. Ob die Europäer sich abschotteten oder neugierig seien auf den Rest der Welt – daran entscheide sich die Frage, "ob Europa in 20 Jahren ein großer Europapark mit musealem Charakter ist, oder ein starker Kontinent".

Auch den Gemeinsinn hielt die Politikerin hoch: "Dieses ganze Gerede von ›first‹" – eine Anspielung auf US-Präsident Trumps Formel "Amerika zuerst" – "ist ein großer Unsinn und eine große Gefahr, weil wir wissen: Konkurrenz ist schön und gut, aber es braucht Gemeinsinn." Es sei "verheerend", wenn jemand glaube, mit 140 Twitter-Zeichen Vereinbarungen "in die Tonne treten zu können", die durch geduldiges Verhandeln zustande gekommen seien. Der laute Zwischenapplaus gab ihr Recht.

Föderalismus sei gut, "weil nicht alle gleichzeitig irren können", hat sie nach ihrem Schritt in die Bundespolitik gelernt, und die Sachlogik der Wirtschaft – Wettbewerb und Konkurrenz – sei nicht die Sachlogik des Lebens generell. Eine Schule, eine Universität lasse sich nicht ausschließlich wie ein Unternehmen führen. Gerade in Zeiten, in denen so vieles möglich und der Wandel so schnell sei, brauche es einen Kompass, der mit Gemeinsinn zu tun habe, ohne den Menschen "pure kalte Technokraten" wären: "Ohne ihn sinkt die Temperatur in unserer Gesellschaft stark ab."

"Wir leben heute als gäbe es zwei oder drei Welten – wir verbrauchen, was uns nicht gehört"

Diese These übertrug die engagierte Katholikin auch auf andere Spielfelder: "Die Zeit, in der wir unsere konfessionellen Unterschiede pflegen, ist vorbei. Die gemeinsame starke Stimme der Christen ist wichtig" – vor allem im Umgang mit der Schöpfung: In seiner Enzyklika "Laudato si" – "Gelobt seist du" – habe Papst Franziskus deutlich gemacht, dass die Menschen in vielen Ländern lebten, als gäbe es zwei oder drei Welten. Ein Tag im Sommer markiere den Tag, ab dem "wir verbrauchen, was uns nicht gehört – ab diesem Tag beleihen wir andere", sagte sie mit Blick auf Entwicklungsländer, die weniger Ressourcen verbrauchten. "So kann ein Maß an Fahrlässigkeit entstehen, das uns gefährlich wird."

"Wir dürfen von unseren Politikern nicht erwarten, dass sie uns eine Insel der Seligen schaffen", mahnte Schavan. "Eine Gesellschaft, die der Politik signalisiert: ›Haltet uns die Armen vom Hals!‹, schafft sich ab." Wie Franziskus – zum Entsetzen seiner eigenen Kardinäle – gesagt habe: "Europa hat keine Kinder. Europa schottet sich ab. Das nennt man für gewöhnlich ›Selbstmord‹."

Laut Annette Schavan "ist es eine Frage der Vernunft, der Zukunftsfähigkeit und -chancen, dass wir nicht verlangen, auf einer Insel der Seligen zu leben." Neugier, Gemeinsinn, Aufmerksamkeit und Aufbruch – auch Selbstbewusstsein, vor allem in Ostdeutschland, 30 Jahre nach dem Mauerfall – seien gefragt.

In der Einladung hatte die Volksbank Albstadt sie treffend zitiert: "Im Wandel zählen Haltungen. Wer bewahren will, verliert. Zeiten des Wandels sind Zeiten des Aufbruchs. Zeiten der Krise sind Zeiten neuer Chancen. Das gilt für Unternehmen, für unsere Gesellschaft und für Europa." Dass den Wandel – in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung eher eine Zeitenwende – am besten jener bewältige, der ein Händchen für Innovation habe, hatte sie zu Beginn ihres rhetorisch glänzenden und besonnenen Vortrags deutlich gemacht. Glaubhaft. Denn auch Annette Schavan hat, wie Fandrich sagte, Wandel erlebt, Wachstum begleitet. Und: "Sie verkörpert Werte."