Tennysons und Strauss’ "Enoch Arden": Vera Lippisch rezitiert, Michael Hagemann musiziert, das Meer ist Kulisse und Akteur zugleich. Foto: Schwarzwälder-Bote

Aufführung des Melodrams "Enoch Arden" beschließt die Ausstellung "Testamentum"

Von Sabine Miller

Albstadt-Ebingen. Als abschließender Höhepunkt der Finissage der Sonderausstellung "Testamentum" ist am Sonntag in der Galerie Albstadt ein literarisch-musikalisches Gesamtkunstwerk aufgeführt worden: das Melodram "Enoch Arden" von Richard Strauss.

Das Melodram ist eine Kunstform, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts einiger Beliebtheit erfreut, danach aber aus der Mode kam und erst in jüngster Zeit wieder mehr Aufmerksamkeit findet: Ein Text wird rezitiert, und dazu wird eine eigens zu diesem Text komponierte Musik gespielt. In der Galerie sprach Schauspielerin Vera Lippisch, Klavier spielte Michael Hagemann, und Regie führte Winni Victor von der Kammeroper Reutlingen.

Richard Strauss’ Melodram "Enoch Arden" entstand 1897 als musikalische Hommage an das gleichnamige Versepos des Briten Alfred Tennyson. Dieses erzählt die romantische Geschichte einer selbstlosen Liebe: Annie Lee, das schmuckste Mädchen im Dorf, Philipp Ray, der Müllersohn, und Enoch Arden haben schon als Kinder zusammen am Strand gespielt; als Jahre später Enoch und Annie heiraten, zieht Philipp sich verletzt zurück – auch er hatte Annie haben wollen.

Der aufrechte Seemann Enoch sorgt nun aufopferungsvoll für seine Frau und die beiden Kinder, bis ein Schicksalschlag ihn nötigt, auf einem Chinafahrer anzuheuern, um drohender Armut zu entgehen. Verloren schaut Annie dem Boot nach, bis es hinterm Horizont verschwindet. Das Meer ist Konstante verbindendes Medium in diesem Werk; die ersten rollenden Klavierläufe beschreiben die Macht seiner Wellen, während eine Video-Kulisse sein Bild dauerhaft vors Auge des Publikums rückt. Diese bietet der Schauspielerin zudem die Möglichkeit, den Strom der Erzählung gelegentlich zu unterbrechen und Distanz zu schaffen, indem sie sich zur Leinwand umdreht und dem Hörer den Rücken kehrt. Ohnehin hielt Vera Lippisch traumwandlerisch sicher die Balance zwischen nüchterner Rede und emotionalem Ausbruch.

Abermals ist es das Meer, das, diesmal wild aufbrausend, die Schicksalsfäden dreier Menschen miteinander verknüpft: Enoch erleidet Schiffbruch; zehn lange Jahre verbringt er auf einer verlassenen Insel, ehe er heimkehren kann – und dort feststellen, muss, dass die Seinen mit einem neuen Familienvater glücklich sind, nämlich mit Phillip. Worauf er den edelmütigen Entschluss fasst, dieses Glück nicht zu stören. An dieser Stelle wallen die Gefühle auf; das kaum erträgliche innere Ringen Enochs verlangt Pianist und Sprecherin alles ab. Michael Hagemann und Vera Lippisch gestalteten auch diese hochintensive Passage glaubhaft und packend – beide haben eine sehr natürliche Art zu agieren, die Winni Victors Intentionen entgegen kommt – ihre sparsame Regie verzichtet auf aufdringliche Verdeutlichungen und überlässt Tennysons Text und Strauss’ Musik das Wort.

Übrigens ist es kein Zufall, dass die Tochter des Reutlinger Malers Winand Victor gerade in Ebingen die Premiere von "Enoch Arden" feierte: In der Kunstsammlung Brucker, die es unter dem Titel "Testamentum" vier Monate lang in der Galerie zu sehen war, befinden sich auch Arbeiten ihres Vaters, der am 27. April im Alter von 96 Jahren gestorben ist – ihm war "Enoch Arden" genauso gewidmet wie den Stiftern Karlheinz und Ruth Brucker. Letztere hatte übrigens den Lebenstraum gehegt, Pianistin zu werden.