Die Anfänge des Wirtschaftswunders: Dieses Foto entstand 1954 beim Onstmettinger Kinderfest. Fotos: Archiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Arbeitskreis Kasten: Die Jahresgabe 2017 schreibt die Chronik der Onstmettinger Textilindustrie

Zum 30. Mal hat der Onstmettinger Arbeitskreis Kasten eine Jahresgabe herausgegeben. Sie thematisiert ein Leitmotiv der Onstmettinger Geschichte: die Maschenindustrie.

Albstadt-Onstmettingen. Das Sujet ist von so zentraler Bedeutung, das man darüber staunt, dass der Arbeitskreis sich 29 Folgen lang mit anderen Themen befassen konnte. Aber dafür hat er für das Heft, das nun zum kleinen Jubiläum erschienen ist, Gewährsleute und Autoren gefunden, die dafür prädestiniert sind – beziehungsweise waren: Gerhard Brennecke, ehemaliger Geschäftsführer der Firma Johannes Drescher, hat im Lauf der Jahre zahllose öffentliche und Firmenarchive durchforstet, kostbares Fotomaterial gesammelt und das akkumulierte historische Wissen in detaillierten Firmenchroniken festgehalten. Die Früchte seiner Sisyphusarbeit in Gestalt einer Publikation zu ernten, war ihm jedoch nicht vergönnt: Brennecke ist im vergangenen Jahr gestorben; den einschlägigen Vortrag hielt am "Tag der Begegnung" im Kasten seine Witwe Birgit Brennecke, die sein Vermächtnis hütet.

Reichbebilderte Firmenchroniken

Das erste von zwei Vorworten der Jahresgabe hat – in gewohnt souveräner und leichtfüßiger Diktion – Rainer Lopau beigesteuert, der 35 Jahre lang Vorsitzender der Albstädter Fachvereinigung Wirkerei-Strickerei war. Es folgen Birgit Brenneckes "Vorwort in eigener Sache", der Aufsatz "Textile Zeiten in Onstmettingen" von Annette Arand, der Tochter des Ehepaars Brennecke, eine Vielzahl von allesamt reichbebilderten tabellarischen Firmenchroniken, vier launige Anekdoten und ein Schlusswort von Gerhard Brenneckes Schwager Harry Jetter – also ein Text- und Bilderpotpourri, das einen durchaus plastischen Eindruck von der Blütezeit der Onstmettinger Maschenindustrie vermittelt.

Aber nicht nur von ihr: Die Anfänge waren hart, die Einkünfte schmal und Kinderarbeit im 19. Jahrhunderts an der Tagesordnung – erst am Stickstock und später auch am Antriebsrad des Rundstuhls, der in Ermangelung von Gas oder gar Strom von Hand "gedrillt" wurde. Auch nach der Einführung des Gasmotors ging die Plackerei weiter, denn der Gasofen wurde per Handkurbel mit Sauerstoff versorgt werden, und an der lösten sich die Kinder einer Familie reihum ab. Erst als die Elektrizität kam – Linder & Schmid führten sie 1896 als erstes Unternehmen ein – hatte der strapaziöse Ringelreihen ein Ende.

Die ersten Rundstühle stand noch vielfach in den Wohnstuben – und wurden bezeichnenderweise von Ebinger oder Tailfinger Unternehmern angeschafft, die sich in Onstmettingen kreditiert hatten: In punkto Entrepreneurship war man bachabwärts weiter. Doch die Onstmettinger – Drescher, Ammann, Alber und wie sie alle hießen – zogen nach. Es ging bergauf; auch der Verdienst bemaß längst nicht mehr nach Kreuzern und Pfennigen, sondern nach Mark. Dass 1923 1000 Mark Tageslohn ausgezahlt wurden, lag freilich nicht am Aufschwung, sondern an der Inflation, die viele Existenzen vernichtete.

Der Nazizeit und dem Krieg folgte ein neuerlicher Boom – zwar demontierten die Franzosen zum Leidwesen der Onstmettinger Fabrikanten die besten Maschinen, aber die Innovation, zu der die deutschen Hersteller dadurch gezwungen wurden, erwies sich im Nachhinein als segensreich. In den Wirtschaftswunderjahren war Onstmettingen in allen großen Versandhauskatalogen mit seiner Wäsche, Bade- und Sportmode vertreten; namhafte Sportgrößen gaben ihre Visitenkarten auf der Alb ab – ein Foto zeigt die damals noch recht taufrischen Gladbacher Fußballweltmeister Berti Vogts, Rainer Bonhof und Jupp Heynckes. Fähige Arbeiter wurden händeringend gesucht, und die Schmiecha plätscherte mal rot, mal blau durch die Talaue – der Wirtschaft ging es besser als dem Bach. Dieses Verhältnis sollte sich mit der Einführung der Abwasservorklärung umkehren; allerdings war am schließlichen Niedergang der Albstädter Textilindustrie nicht der Gewässerschutz schuld, sondern die Konkurrenz aus Fernost. Die Onstmettinger Hersteller behaupteten sich länger als manch andere, aber am Ende schlug auch den meisten von ihnen das letzte Stündlein.

Was war anders an Onstmettingens Textilindustrie? Eine gewisse Nähe und Intimität vielleicht – es kam schon vor, dass Chef und Mitarbeiter sich duzten; schließlich hatten sie dieselbe Schulbank gedrückt. Zwar ist vom Fabrikanten Hermann Wohnhas überliefert, dass er nie ein direktes Wort mit seinen Arbeitern wechselte. Aber der war gar kein Onstmettinger – der kam aus Ebingen.